鴟鴞
Anonymous (Shijing)
鴟鴞鴟鴞,既取我子,無毀我室。
恩斯勤斯,鬻子之閔斯。
迨天之未陰雨,徹彼桑土,綢繆牖戶。
今女下民,或敢侮予。
予手拮据,予所捋荼,予所蓄租,予口卒瘏,曰予未有室家。
予羽譙譙,予尾翛翛,予室翹翹。
風雨所漂搖,予維音嘵嘵。
An die Eulen Johann Cramer
— in: Cramer, Johann (ed.). Schi-King, oder Chinesische Lieder, gesammelt von Confucius. Neu und frei nach A. La Charme's lateinischer Übersetzung bearbeitet. Fürs deutsche Volk hg. von Johann Cramer, Das himmlische Reich. Oder China's Leben, Denken, Dichten und Geschichte, 4 vols. Crefeld: Verlag der J. H. Funcke'schen Buchhandlung, 1844. p. 114f.
O, ihr Eulen, ungefüge,
Aus dem Nest die Jungen stehlt,
Nur nicht meines Hauses Pforte
Eurem Diebsgelüste wählt.
Wie hab' ich mit Müh gewaltet,
Und in Sorgen wie geschaltet,
Durch so viele Tage hin
Meine Jungen groß zu ziehn!
Wenn der Himmel sich umwölket,
Und mit Regengüssen droht,
Hab' ich mit Verstand und Muthe
Widerstrebend jeder Noth.
Meines Hauses Thür versperr' ich,
Zweige um die Fenstern zerr' ich,
Und du willst mit einem Schlag,
Pöbel, brechen doch mein Dach?
Liegt mein Haus und Hof in Trümmern,
Muß ich es mir wieder baun,
Rüstig geh' ich dran und munter
Mit dem Schnabel und den Klaun.
Was dem Nest kann Drohung bringen,
Such' ich auf vor allen Dingen;
Doch von solcher Mühbeschwer
Klau' und Schnabel leiden sehr.
Meine Flügel sind verwundet,
Abgenutzt die Federn all',
Hingeschwunden ist die Kraft mir
Und mir droht ein naher Fall.
Kann mein Haus nicht Windeswehen,
Nicht dem Regen widerstehen,
Bleibt mir nichts bei solcher Zeit,
Als zu klagen laut mein Leid.
An die Eulen Friedrich Rückert (1788–1866)
— in: Rückert, Friedrich. Schi-king. Chinesisches Liederbuch. Altona: J. F. Hammerich, 1833. p. 162f.
Die ihr, widerwärt'gen Eulen,
Stehlt die Jungen aus dem Neste!
Schonet meines Hauses Säulen,
Nehmt mir nicht das beste!
Welche Liebesmühe gab ich
Mir, o welche Sorgen hab' ich
In so vielen Tagen,
Meine Jungen groß zu ziehn, getragen!
Wenn der Himmel trüb und nächtig
Sich umzieht, und droht mit Regen,
Wirk' ich muthig und bedächtig
Der Gefahr entgegen.
Meines Hauses Thür verkleb' ich,
Fasern um die Fenster web' ich;
Darfst du doch es wagen
Mir das Dach, o Pöbel, zu zerschlagen?
Ist mir Haus und Hof zertrümmert,
Muß ich es von neuem bauen,
Lege rüstig und bekümmert
Schnabel an und Klauen.
Was nur dient das Nest zu spreiten,
Schlepp' ich bei von allen Seiten;
Ach, von solchen Plagen
Müssen Klau' und Schnabel Schwielen tragen.
Meine Flügel sind zerschunden,
Meine Federn abgewetzet,
Meine Schwungkraft hingeschwunden,
Und nichts fest gesetzet.
Weht der Wind an's Haus, so zittert's,
Und der Regensturm durchwittert's;
Ach, in solchen Lagen
Was denn bleibt mir als mein Leid zu klagen?
Des Tscheu-Fürsten Eulenlied Victor von Strauß (1809–1899)
— in: Strauß, Victor von. Schi-king. Das kanonische Liederbuch der Chinesen. Heidelberg: Carl Winter's Universitätsbuchhandlung, 1880. p. 242f.
Du Eule, o du Eule du!
Schon hältst du meine Jungen fest;
Zerstöre nicht mein ganzes Nest!
Sie pflegt' ich, sie umklammert' ich,
Der aufgenährten Jungen jammert mich.
Bevor am Himmel schwarz die Regenwolken hingen,
Sah man mich Maulbeerfasern bringen
Und fest um Thür und Fenster schlingen.
Und jetzt, du niedriges Geschlecht,
Wagt Einer Schmach auf mich zu bringen?
Mein' Klau'n erkrallten allestund,
Wo ich ein Hälmlein fassen kunnt'
Wo ich nur einzusammeln fund,
Bis mir der Schnabel völlig wund.
Ich sprach: Ich habe noch nicht fest des Hauses Grund.
Nun sind die Schwingen mir verheert,
Nun ist der Schweif mir weggezehrt,
Gefahr ist in mein Haus gekehrt,
Das Wind und Regenfluth durchstürmt, durchfährt;
Mir bleibt nur noch ein Klagelied gewährt.