玉階怨
Li Bai 李白 (701–762)
玉階生白露,夜久侵羅襪。 却下水精簾,玲瓏望秋月。
Die Treppe im Mondlicht Hans Bethge (1876–1946)
— in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1907. p. 31.
Gefügt aus Jade steigt die Treppe auf, Mit Tau benetzt, darin der Vollmond schimmert, – Auf allen Stufen liegt der holde Glanz. Die Kaiserin in schleppendem Gewande Schreitet die Stufen aufwärts, und der Tau Näßt funkelnd des Gewandes edeln Saum. Sie schreitet bis zum Pavillon, in dem Das Mondlicht webt. Geblendet bleibt sie auf Der Schwelle stehen. Ihre Hand zieht sacht Den Perlenvorhang nieder – und es sinken Die lieblichen Kristalle, rieselnd wie ein Wasserfall, durch den die Sonne scheint... Da lauscht die Kaiserin dem Rieseln nach Und blickt voll Schwermut lange in den Mond, Den herbstlichen, der durch die Perlen flimmert. Und blickt voll Schwermut lange in den Mond...
Die Jadene Treppe Gottfried Böhm (1845–1926)
— in: Böhm, Gottfried. Chinesische Lieder aus dem Livre de Jade von Judith Mendes. In das Deutsche übertragen von Gottfried Böhm. München: Theodor Ackermann, 1873. p. 33f.
Unter des Mondes sanfterem Schimmer Steiget empor zu ihrem Zimmer Leise des Kaisers hohes Gemahl. Steiget empor die Jadene Treppe, Küßet mit ihrer seidenen Schleppe Leise der Stufen unendliche Zahl. Und die Stufen, die Thaues nassen Glichen der weißen, seidenblassen Schleppe, die sich darüber stahl. Nun zu der Thüre hingewendet, Stehet die Kaiserin geblendet Vor dem hohen herrlichen Saal. Welch' ein Glanz! - welch' glitzernd Geflimmer! Ueberfloßen ist ganz ihr Zimmer Von des Mondes sanftestem Strahl! - Und an des Fensters Vorhangkanten Eine Gesellschaft von Diamanten Scheinen die Perlen von Kristall. Eine Gesellschaft, die sich streitet Um das Licht! - Auf den Boden gebreitet Scheinen Sterne überall.
Vergebliches Harren Hans Böhm (1876–1946)
— in: Böhm, Hans. Lieder aus China. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Mit siebzehn Zeichnungen von Rudolf Grossmann. München: Verlagsbuchhandlung Georg D. W. Callwey, 1929. p. 40.
Weiß kriecht der Nebel aufwärts die Terrassen, Den Seidenschub durchdringt ihrs ungewohnt. Sie läßt den Vorhang fallen; durch die blassen Kristalle starrt sie auf des Herbstes Mond.
Die Qual der Jadetreppe Max Geilinger (1884–1948)
Ist es ein Tau, von dem die Jadetreppe glänzt? Oder weint sie, weil du nie mehr kommst? Durch meinen Perlenvorhang schaut der Mond Sinnend auf mein Gedicht über die Qual der Treppe von Jade.
Traurigkeit auf der Treppe Max Geilinger (1884–1948)
Der helle Tau fällt auf die Jadetreppe ... Spät in der Nacht – ihr Seidenstrumpf ist feucht – Geht sie ins Haus und zieht den Perlenvorhang aus Kristall Und schaut durch ihn des Herbstes großen Mond.
Die Treppe von Jade Hans Heilmann (1859–1930)
— in: Heilmann, Hans. Chinesische Lyrik vom 12. Jahrhundert v. Chr. bis zur Gegenwart, Die Fruchtschale. München, Leipzig: R. Piper & Co., 1905. p. 49f.
Die Treppe von Jade glitzert im Vollmond über und über von Tau. Langsam steigt die Kaiserin sie hinab und läßt die Schleppe ihres fürstlichen Gewandes sich mit den funkelnden Tropfen benetzen. Auf der Schwelle des Pavillons, der ganz vom Mondlicht erfüllt ist, bleibt sie geblendet stehen; dann zieht sie den Vorhang aus Kristallperlen nieder, der herabsinkt wie ein Wasserfall, durch den man die Sonne sieht. Und während das kristallene Klingen verrieselt, betrachtet sie, wehmütig und träumend, lange, lange den herbstlichen Mond, der durch die Perlen gleißt.
Die Kaiserin Klabund (1890–1928)
— in: Klabund. Dichtungen aus dem Osten. Bd. II China: Chinesische Lyrik. Wien: Phaidon-Verlag, 1929. p. 49.
— in: Klabund. Dichtungen aus dem Osten. Bd. II: Chinesische Gedichte. Nachdichtungen. Wien: Phaidon-Verlag, 1954. p. 70.
Die Yadetreppe glitzert weiß von Tau. Es streift das schleppende Gewand der hohen Frau Die Tropfen leise ab. Sie schattet mit der Linken ihr Gesicht, Weil durch den Pavillon der Mondstrahl bricht. Sie schlägt den Perlenteppich hinter sich zusammen. Er rauscht, ein Wasserfall, im Mondlicht nieder. Verrieselt. Über ihre schlanken Glieder Zuckt grell des ersten Frostes Kälteschauer. –
Einsamkeit Richard Wilhelm (1873–1930)
— in: Wilhelm, Richard. Chinesische Herbstlieder. Qingdao: ohne Verlag, 1918.
— in: Wilhelm, Richard. Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten. Lieder und Gesänge. Jena: Eugen Diederichs, 1922. p. 62.
Die Marmorstufen weiß vom Taue leuchten. Die Nacht ist spät, das Kleid beginnt zu feuchten. – Mit dem kristallnen Vorhang schließt sie nun ihr Zimmer. Da schaut den Herbstmond sie im Perlenschimmer.