Max Fleischer

male (1880–1942)

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  • Bei ge xing 悲歌行: Das Lied vom Kummer (Li Bai 李白)
    Der Wirt, meine herzlieben Brüderlein, der Herr Wirt hat Wein, hat Wein. Wir schlagen die Spunde, die Pipen ein, wir wollen die eignen Küper sein. Schenkt ein! Schenkt ein! Schenkt ein! Doch – halt! Keinen Tropfen getrunken! Halt! Ich sing euch ein Lied erst vor, ein Lied, das sich um die Seele euch krallt. Hebt eure Kannen empor! Wenn der Kummer kommt, wenn unser Sang mit unserem Lärmen und Lachen verklang, wer weiß es, ihr Freunde, wer weiß, warum ihm ums Herze dann heiß? Der Kummer, der Herzenskummer sitzt mit in unserem Kreis. Mein Herr Wirt, du hast einen Keller voll Wein. Allein meine lange Laute ist mein! Die Laute schlagen und fröhlich sein und trinken und singen und lieben, ist fein. Schenkt ein! Schenkt ein! Schenkt ein! Ein Gläschen zur Zeit, zur richtigen Zeit, - "Wir leben und lieben im Flor!" - , dafür verschenk ich die Seligkeit. Hebt eure Kannen empor! Wenn summend der Kummer die Herrschaft gewann, was will euer Gläsergeklingel euch dann? Weiß keiner, ihr Schlemmergeschmeiß, warum ihm ums Herze so heiß? Der Kummer, der Herzenskummer sitzt mit in unserem Kreis. Und mag der Himmel auch ewig sein und der Erdkreis sich drehn wie ein Kreisel klein, wie lang wirst du, Klepper, dein dürres Gebein noch schleppen und froh deines Goldes sein? Schenkt ein! Schenkt ein! Schenkt ein! Wenn's hoch geht, Brüderlein, hundert Jahr lebst du im Saus, o du Thor! Gewiß ist dir nichts als die Totenbahr! Hebt eure Kannen empor! Wenn im Schlummer der Kummer gekommen ist, zu wessen Frommen ist Neid und List und Geiz? Du grinsender Greis, warum ist ums Herze dir heiß? Der Kummer, der Herzenskummer sitzt mit in unserem Kreis. Mein Herr Wirt und herzliebe Brüderlein, was quarrt dort am Friedhof im Mondenschein und winselt? Hört ihr den Affen schrein? Schluß mit dem Gaffen! Die Spunde hinein! Schenkt ein! Schenkt ein! Schenkt ein! Auf einen Zug die Humpen geleert und mitgesungen im Chor! "Wir leben und lieben unbeschwert!" Hebt eure Kannen empor! Der Affe verkroch sich. Wir beben noch. Es lebe das Leben, das Leben hoch! Wer weiß, ihr Freunde, wer weiß? - Zwar rollts durch die Adern uns heiß! - Doch der Kummer, der Herzenskummer, sitzt mit in unserem Kreis.

    in: Fleischer, Max. Der Porzellanpavillon. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay Verlag, 1927. p. 75-77.
    Adaption of verses 1-21.
  • Bei ge xing 悲歌行: Der Tanz der Unsterblichen (Li Bai 李白)
    Den Menschen galt mein Lied. Ich sang zu Menschenlust im Überschwang, doch Menschengunst ich nie errang. Um meine Flöte lag ein Flor. Mein Lied flog an das Himmelstor, bis es in Wolken sich verlor. Da – we ich sang und wie ich sann – im Glühgewölk ein Tanz begann. Ein Segen auf mich niederrann. Die Himmelsgnade hab ich nun, seit im Gewölk auf leichten Schuhn die Gottheit schwebt, und - dürfte ruhn. Kaum weiß ich selbst wie mir geschah, als ich die Götter tanzen sah. – Nun ist auch Menschenliebe da.

    in: Fleischer, Max. Der Porzellanpavillon. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay Verlag, 1927. p. 47.
    Adapted excerpt only.
  • Bing che xing 兵車行: Die Feldkolonne (Du Fu 杜甫)
    Räder knirschen, Pferde schnaufen. Soldaten marschieren singend ins Feld, begleitet von Leuten, die mit ihnen laufen, vom Schreien und Kreischen der Weiber umgellt, von Staub umwirbelt, gemartert vom Weinen. Bräute und Frauen und Mütter gehn mit. Dem hängt ein Kind an mit trippelnden Beinen. Mit dem hält ein Weißbart mühsam Schritt. Greller gellt das Geschrei an der Brücke. Weiter darf keiner mit. – "Halt!" - "Alles–: Halt!" Am Weg hockt ein Einfuß, schultert die Krücke, kläglich in einen Knäuel geballt. Aufkreischen die Weiber. Die Kinder heulen wie Tiere. – "Vorwärts!" – "Weiber zurück!" Man drängt sich noch zwischen Soldaten und Gäulen "Mein Liebstes!" "Mein Alles!" "Mein einziges Glück!" "Vaterle!", "Bruder!" Sie könnens nicht fassen Fern schon und ferner sind Wagen und Roß. Auf Straße und Feldrain knien sie in Massen. Weiter wälzt sich dröhnend der Troß. Wandrer begegnen dem Zuge und stieren. Dann grüßen sie, winken und fragen viel. Die Antwort ist immer: "Marschieren, marschieren! Marschieren, marschieren! Wir kennen kein Ziel. Es sei denn, das Ziel ist: In blühenden Jahren verfaulen für nichts, ersticken in Schweiß. Mancher, der mitging mit pechschwarzen Haaren, heute ein Knabe, ist morgen schneeweiß. Bartlos, mit fröhlichen Liedern zogen wir aus. Bald ist jeder ein winselnder Schelm. Wir wissen nur Eines. Man hat uns belogen. Wie schwer ist der Panzer! Wie drückt uns der Helm! Man sagte: es geht um das Dorf, um die Kleinen, um unsere Weiber, um Haus, Hof und Brot. Man sagte: Die Sonne wird wieder scheinen! Man sagte uns nicht: Der Tod ist der Tod. Man redete nicht von zerschmetterten Rümpfen, Von erloschenem Aug, von verquollenem Blut, von gespaltenen Schädeln, von zuckenden Stümpfen. Man kränzte die leuchtende Stirn und den Hut. Was lockte, was lockte man uns mit der Lüge, daß dieses Morden ein heiliger Krieg? Laßt uns nach Haus! Den Fraun sind die Pflüge schwer schon. Wucherndes Unkraut stieg über die Zäune und Gitter und Raine. Gestrüpp frißt den Acker. Die Hütte verfällt. Der Krieg rast, ein hungriger Wolf, durch die Haine und bleckt seine Zähne und bellt und bellt. Nicht einen winzigen Deut gilt seine Seele. Ein Huhn, ein Hund, ein Hase, ein Hecht soviel wie ein Mann? Mir schnürt es die Kehle! Marschiere, marschiere, verspieltes Geschlecht!" So redet die Marschkolonne. So reden die Reiter, so redet das Fußvolk auch. Der Aufruhr erstickt; denn sie hängen jeden; die Leichen baumeln um Ast und Strauch. Doch immer wieder frißt sich die Welle der grellen Empörung durch schlotternde Angst. Schon sagen sie: Gleich ist es, ob auf der Stelle du tot bist, ob du erst morgen hangst oder, verstümmelt vom Feind, auf die Reise gehst in das Land, dem noch keiner entrann. Oft nahn dem ringelnden Heerwurm Greise. "Greise?" Was schiert es verlorenen Mann? Wohl ist es Pflicht, sein Wort zu verhalten, wenn uns ein Alter begegnet und klug, alles zu meiden, was einen Alten stören könnte; doch dieser Betrug, Väterchen, glaub mir, ist nicht zu ertragen! Nicht einmal Winters ruhen wir aus. Wir müssen jagen, auf Menschen jagen und drüben treibt man die Unsern vom Haus. Ärmste, dies Kind an der Brust, ist's ein Knabe? – "Ein Sohn!" – O du arme, betrogene Frau! Zieh ihn nur auf und labe dich, labe, lab dich an ihm! Einst – wie eine Sau sticht man dein Kind ab! Ihm ist es beschieden, Unkraut zu sein in dem Menschengefild! Kaiser, was säumst du? Kaiser, mach Frieden, daß man dich Totengräber nicht schilt! Komm an das Meer! Es funkelt in Bläue, doch an der Küste bleicht unser Gebein, das keine Kindeshand sammelt in Treue, ihm die gebührenden Opfer zu weihn. Komm an das Meer! Am blauen Gestade wimmern Verstümmelte. Komm! Ihr Geächz prasselt wie Regen. Komm, Kaiser, und bade in unserem Blut dich! Hör das Gekrächz der Raben, die in den Lüften schon lauern, gierig zu haun in entblößtes Gehirn! Schau und geh heim! Laß sterben die Bauern! Küß des Knaben traumgoldene Stirn!

    in: Fleischer, Max. Der Porzellanpavillon. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay Verlag, 1927. p. 58-62.
  • Cai lian qu "Ruo ye xi bang cai lian nü" 采蓮曲“若耶溪傍采蓮女”: An den Ufern des Jo-yeh (Li Bai 李白)
    Die Ufer klirren von Stimmen. Verwirrende Rufe im Wind. Den Rasenhang erklimmen Mädchen. Im Wasser sind zarte wehende Schleier wie Rosenwölkchen gemalt. Über der Frühlingsfeier die liebe Sonne strahlt. Wie sie die Arme heben! O ihrer Augen Blitz! Blumendüfte schweben aus ihrem Ärmelschlitz. O, und ihr schönen Knaben im Weidengehölz! Wem gilt euer Staunen und Schaun? Sie laben sich an dem bezaubernden Bild. Des einen Pferd will bocken. Wie es durch Blüten sprengt! Ein Mädchen hebt erschrocken den Nacken. Die Sonne sengt. Ob er es zügelt? Wie sprühen die Hufe! Sie wäre gern Braut. Die Pfirsichwangen glühen. Das kleine Herz schlägt laut. Sie starrt nach den stampfenden Hufen. Sie greift sich ans Herz. Da klirrt ihr Name. Die Andern rufen. Sie zittert und geht verwirrt.

    in: Fleischer, Max. Der Porzellanpavillon. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay Verlag, 1927. p. 24f.
  • Chu ye su shi tou yi 除夜宿石頭驛: Neujahrsnacht in einer Herberge (Dai Shulun 戴叔倫)
    Kein Herz, das Anteil an mir nähm in diesem fremden Haus. Kein Mensch, der freundlich zu mir käm. Ich spräch so gern mich aus. Ein trübes Lämpchen ist allein mein Gast in dieser Nacht. Bald sieht das neue Jahr herein. Wie bin ich so verwacht! Straßab und auf trug ich die Schuh, blieb doch der Heimat fern, fand keine Einkehr, keine Ruh. Ein Unstern ist mein Stern. Ist es nicht lächerlich und weh, wie dieser Körper bebt? Mein Aug ist trüb, die Schläfe Schnee. Mein Leben ist verlebt. Und morgen springt ein neues Jahr wie eine Knospe auf. Ich kränzte allzugern mein Haar, das gramvoll ich zerrauf. Viel Jahre sah ich so vergehn und keines machte froh. Wes mag ich mich von dem versehn auf diesem Herbergstroh? Zwar mancher, den ich einst gekannt, fand da und dort sein Glück; doch mancher, der mir nahe stand, kommt nimmer mir zurück. Drum, bis auch meine Lampe lischt, will ich gelassen sein. So geh erquickt ich und erfrischt in hohes Alter ein, trink Jahr für Jahr des Frühlings Licht, das gnädig mich umfließt, und tausche mit dem Kaiser nicht, der es wie ich genießt.

    in: Fleischer, Max. Der Porzellanpavillon. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay Verlag, 1927. p. 43f.
  • Chun ri zui qi yan zhi 春日醉起言志: Ein Frühlingstag (Li Bai 李白)
    Steht's denn dafür, daß ich mich plag, wenn nichts als Traum nur dieser Tag, wenn nichts als Schein, was mir bewußt? In Rausch lull ich mich ein, o Lust! Ich trinke, schwanke, gleite aus und lieg wie tot vor meinem Haus. Doch ich erwach und schau: Im Raum schwankt über mir ein junger Baum. In seine Zweige eingepreßt wiegt sich im Wind ein Vogelnest. Ich frag den Vogel: Sag, o Tier, in was für Tagen leben wir? Er sagt: Du Armer! Um den Strauch wogt Blütendunst wie dünner Rauch. Mehr weiß ich nicht von diesem Ding, doch mir genügt's: Ich sing und sing. Er redet gar so wunderlich! Was aber ich, was tu denn ich? Ich lange mir den vollen Krug und gieß mir ein. Mir ist's genug, ich sing. – Da steigt ganz fern am Rand der Mond und überschwemmt das Land. Und wie die Bläue mich umspinnt, ist mir, daß rings die Welt zerrinnt. Ist dies noch Tag? Ist dies nur Traum? Ich lieg im Raum, im weiten Raum.

    in: Fleischer, Max. Der Porzellanpavillon. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay Verlag, 1927. p. 71f.
  • Chun ye luo cheng wen di 春夜洛城聞笛: Geheimnisvolles Zwiegespräch zweier Flöten (Li Bai 李白)
    Einmal am Abend brachte der Wind lieblich durch Blumenduft Flötenspiel lind. Schon auch grüßte ein Weidenzweig hold. Ich schnitt ihn und gab ihm des Flötenspiels Gold. Seither schwebt süß durch die Nacht, was ich litt, und alle Vögel pfeifen es mit.

    in: Fleischer, Max. Der Porzellanpavillon. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay Verlag, 1927. p. 81.
  • Chun ye xi yu 春夜喜雨: Der Frühlingsregen (Du Fu 杜甫)
    Dieser linde Regen war ein Gottessegen. Wie ihn alles fühlt! Unterm Himmelsbogen kam er schwarz geflogen und hat es abgekühlt. In den Kähnen blinkten kleine Feuer, winkten in den Abend weit; ähnlich fast den Sternen, wanderten Laternen durch die Dunkelheit. Heute lachen Farben blau und rot aus Garben. Über dem Gefild liegt die Morgenfrische. Heißer Tag, verwische nicht das liebe Bild.

    in: Fleischer, Max. Der Porzellanpavillon. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay Verlag, 1927. p. 84.
  • Gong zhong xing le ci ba shou (7) "Han xue mei zhong jin" 宮中行樂詞八首(其七)“寒雪梅中盡”: Das Lusthaus (Li Bai 李白)
    Aus Aprikosenweg und Ästen der Weide tropft zerfließender Schnee im wärmenden Lenzhauch. Leise schluchzt der Vogel Yng. Um den Giebel flattern die Schwalben. Länger wird schon der Tag. Wir tafeln im Freien, kürzen mit edlen Gesprächen freundlich die Stunden. Tänzerinnen herbei! daß schwebende Anmut wiegend uns labe. Sterne flimmern schon. Wir entlassen die Diener, trinken die Freuden der Nacht in vollen Zügen. Laue Lüfte legen sich leicht an das Zelttuch, fächeln uns Kühle. Sonnenaufgang! Wie glänzen die lächelnden Kelche der erfrischten Beete! Die Wasserpflanzen öffnen mit schlichter Geberde die atmende Knospe, grüßen den Frühling. Zierlich von Zweig zu Zweig hüpfen die Vögel, singen ihr Lied von den blühenden Pflaumen und Birnen, im amethystenen Lusthaus des Kaisers tanzen Himmlische Frauen. Knospige Trauerweide, du ähnelst dem Golde, frischgefallenem Schnee, rosige Apfelblüte. Grünes Gezweig! Verbirg unter Blütengeriesel trunkene Küsse! Die erlesensten Schönen geleiten den Kaiser Auf der Ausfahrt in den erwachenden Frühling, strömen mit Vogelgezwitscher aus allen Gemächern hin in die Landschaft. In dem düftewehenden Reigen des Lenzes schwebt auch sie, Fey-Yen die hohe Geliebte, schwebt die Tochter des Volkes, die Rose der Rosen, wie eine Wolke.

    in: Fleischer, Max. Der Porzellanpavillon. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay Verlag, 1927. p. 31f.
  • Ji li shi'er bai er shi yun 寄李十二白二十韻: An Li-Tai-Pe (Du Fu 杜甫)
    Unerschöpflich strömt der Schwall deines Geistes wie in Tropfen auf die Flur, ein steter Fall, warme Sommerregen klopfen. Heller Sonnenhimmel blaut. Plötzlich aber fegt gewaltig Sturm einher mit Donnerlaut. Himmelgleicher, vielgestaltig ist dein Pinsel! Deine Hand läßt auf blütenweißes Bütten Zeichen regnen, wie aufs Land Wolken ihren Segen schütten. Großer Seele Thränenleid ist dies Wogenschäumen, Meister. Aus der Himmelsherrlichkeit braust dir Beifall ewiger Geister.

    in: Fleischer, Max. Der Porzellanpavillon. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay Verlag, 1927. p. 48.
  • Jiang shang yin 江上吟: Auf dem Gelben Flusse (Li Bai 李白)
    Junge Flötenspielerinnen sitzen auf den Ruderbänken. Dunkelgoldne Weine rinnen. Labet euch an den Getränken, die wir in dem Schifflein führen! Jeder soll im Herzen spüren, daß die Freude mit uns fährt. In den Lüften, welch ein Sausen! Seht! Auf gelben Störchen Reiten droben, daß die Höhen brausen, die Unsterblichen und leiten ihn, der ruhevoll durch Scharen weißer Möwen hergefahren kommt und euch die Freude lehrt. Die Gebilde der erhabnen Meister unsrer Dichtung leben, während die in Schutt begrabnen Schlösser nimmer sich erheben, Burgen, die auf Hügeln standen, Weithin sichtbar allen Landen. Längst hat sie die Zeit verheert. Auf der Erde Herrlichkeiten will ich neidlos drum verzichten, will gemach flußabwärts gleiten; denkend fühlen, fühlend dichten, daß die heiligen Berge beben. Freunde, gäbe es ein Leben, das uns weniger beschwert? Macht und Ruhm sind Spukgestalten, die mir keinen Groschen gelten. Sollt ich sie für wirklich halten, dürftet füglich ihr mich schelten. Eher fließt die gelbe Welle von der Mündung zu der Quelle, eh mein Herz ein Nichts begehrt.

    in: Braun, Felix. Die Lyra des Orpheus. Lyrik der Völker in deutscher Nachdichtung. Wien: Paul Zsolnay Verlag, 1952. p. 36f.
  • Jing ye si 靜夜思: In einer Herberge (Li Bai 李白)
    in: Fleischer, Max. Der Porzellanpavillon. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay Verlag, 1927.
  • Not determined 未定: Der Porzellanpavillon (Li Bai 李白)
    Der See liegt klar im tiefen blauen Licht und spiegelt rein die grün und weißen Pfeiler des kleinen Pavillons aus Porzellan. Wie eines sprungbereiten Tigers Rücken wirft sich die schöngeschnitzte Jadebrücke in edlem Schwung an seine Stufen hin. In diesem Pavillon sitzt Li-Tai-Po mit seinen Freunden wohlgelaunt beim Wein. Die hellen Kleider der verklärten Dichter wehn wingebauscht wie Segel überm See. Die Zeit verfliegt. Man redet allerlei, erzählt sich auch erbauliche Geschichten und dichtet unterteilen wohl ein Lied. Wen just die Gnade überkam, der schiebt gemach die runde Mütze aus der Stirne und streift die Ärmel auf und malt ein Verslein. Der See liegt klar im tiefen blauen Licht und in dem See – wie seltsam! – stehn verkehrt, Doch spiegelschön die grün und weißen Pfeiler des kleinen Pavillons aus Porzellan. Ein sprungbereiter Tiger sperrt den Rachen gewaltig auf. O Gott, es ist die Brücke! Was für ein Maskenspiel! Im Spiegelbild des Pavillons auch leuchtet Li-Tai-Po mit seinen Freunden. Auf dem Kopfe steht der hocherlauchte Kreis und zecht und singt. Die windgebauschten Kleider gleichen Segeln. Man redet mancherlei und dichtet auch wie überm Wasser in dem Scheingebilde des kleinen Pavillons im blauen See.

    in: Braun, Felix. Die Lyra des Orpheus. Lyrik der Völker in deutscher Nachdichtung. Wien: Paul Zsolnay Verlag, 1952. p. 35.
  • Not determined 未定: Die Stickerin (Li Bai 李白)
    In Wehmut saß ich über meinem Rahmen am Auslug auf die Straße, die sie nahmen, und gab so ganz, so ganz der Sorge nach, daß mich die Nadel in den Finger stach und statt der weißen Rose, die ich strickte, ein Purpurröslein aus dem Rahmen blickte. Da mußt ich jeden Sinn ins Blachfeld lenken und meines armen Liebsten draußen denken, des Blut vielleicht aus frischer Wunde fließt, daß aus der Steppe rot ein Röslein sprießt, ein Röslein rot, ein Röslein. – Thränen schossen aus meinen Augen, die sich jäh ergossen. Auf einmal pochte es wie Huf bei Huf. O Pferdegetrappel! Langersehnter Ruf! Aufsprang ich gleich und ließ die Arbeit liegen, um meinem Theuren an den Hals zu fliegen. O Schmerz! Es hatte mich ein Trug genarrt. Mein Herz nur pochte so. Ich seh erstarrt. Und auf die Stickerei in meinem Rahmen, am Auslug auf die Straße, die sie nahmen, bieg ich mich wieder, trauervoll versteint und arm wie eine, der kein Lenz mehr scheint so arm, so arm. Arm! Thrän' auf Thräne troff und stickte lauter Perlen in den Stoff.

    in: Fleischer, Max. Der Porzellanpavillon. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay Verlag, 1927. p. 51f.
  • Qiu xing ba shou (1) "Yu lu diao shang feng shu lin" 秋興八首(其一)“玉露凋傷楓樹林”: Herbstwehmutlieder, "Von allen Bäumen fegen" (Du Fu 杜甫)
    Von allen Bäumen fegen die Blätter vor dem Wind. In Strömen gießt der Regen. Die kalte Zeit beginnt. Hoch gehn im Fluß die Wogen und türmen sich im Schwall fast bis zum Himmelsbogen empor, ein Wasserwall. In den Wäldern ein Sausen, immer der eine Ton! Hier ist nimmer zu hausen. Läg ich im Schlafe schon! Von den Gebirgen schweben Wolken um Wolken fahl. In den Steppen heben sich Nebel allzumal. Noch blühn die Chrysanthemen, doch morgen ist alle Pracht ein wesenloser Schemen; nicht eine Aster lacht. Angekoppelt, ein Nachen am Ufer, lieg ich, tanz auf Wellen. Träume entfachen mein Dorf zu vollem Glanz. Schon holt man aus den Spinden sich warmes Wams. Der Frost kam mit den Winterwinden. Im Keller friert der Most. Im weiten Umkreis stellen sie Schneelaternen auf. Kleine Feuer hellen die trüben Fernen auf. Im Tal die Wäscherinnen schwemmen in aller Ruh und tragen nasse Linnen in Körben und singen dazu: "Der Herbst, der Herbst ist kommen." Die Weise legt sich leis ans Herz mir. Leicht verglommen die Feuerlein im Kreis.

    in: Fleischer, Max. Der Porzellanpavillon. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay Verlag, 1927. p. 9-11.
  • Qiu xing ba shou (2) "Kui fu gu cheng luo ri xie" 秋興八首(其二)“夔府孤城落日斜”: Herbstwehmutlieder, "Immer nur vom Festungswall (Du Fu 杜甫)
    Immer nur vom Festungswall seh die Sonne ich ertrinken. Meine nassen Augen sinken mit dem feuerfarbnen Ball. Hinterm Berg, wo er verwich, liegt die Hauptstadt. Ich verzehre mich in Gram, doch immer nähre ich ein Heimkehrhoffnungslicht. Denk an manches Frauenbild, mag mir's auch ein Traum nur schaffen. Winselnd hängt ein Volk von Affen im Gesträuch. Das Bild verquillt. Bist das du, der im Palast ein- und ausging? Weihrauch bebte in der Luft. Die goldgewebte, seidne Matte lud den Gast mild zum Ausruhn. Hohe Kunst grüßte dich von allen Wänden, denn mit vollen reichen Händen schenkte deines Kaisers Gunst. Jetzt in diesem Festungsrund lauschest du dem Schritt der Wachen. Lang verlerntest du das Lachen, heimatfern und heimwehwund. Seligkeit ist dir nur dies, daß im halben Licht die fahlen Sandsteininseln rötlich strahlen in dein ärmliches Verließ. Herbstlich blüht das Schilfrohr. Sieh! wie die Felsen ihre Säume aus dem Schwall der Wogenschäume heben! Lausche! Melodie schwebt mit leichtem Flug herbei. Trink die Welt mit allen Sinnen! Diese öden Festungszinnen sind versunken. Du bist frei!

    in: Fleischer, Max. Der Porzellanpavillon. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay Verlag, 1927. p. 11-13.
  • Qiu xing ba shou (3) "Qian jia shan guo jing zhao hui" 秋興八首(其三)“千家山郭靜朝暉”: Herbstwehmutlieder, "Wie still das Städtlein liegt" (Du Fu 杜甫)
    Wie still das Städtlein liegt in Früh- und Abendstunden an seinen Fels geschmiegt! O hätt ich überwunden! Ein armes Bergvolk nährt sich schlicht auf harter Scholle. Daß sich der Himmel klärt, erwarten wir oft volle verlorne Tage. Oft hab ich ein bißchen Bläue inbrünstig mir erhofft, der ich zu weinen scheue. Wie herzertötend gleich bleibt sich dies Tagvertändeln. Im engen Wallbereich seh ich die Wachen pendeln, am See, am grauen See nie andre Fischerleute, ihr täglich Glück und Weh ist ihre magre Beute. Du aber, lieber Zug von Schwalben, die sich jagen, du sammle dich zum Flug, mein Heimweh wegzutragen. Ein Spiegel meines Herrn zu sein, war mir befohlen. Der andre nahm den Stern, mir maß man Wandersohlen. Herr, schlage dem Gezücht Falschwort aus falschem Munde. Schon bringt mir das Gerücht von argem Abfall Kunde. O Stadt im Nebelland! Nun erst bist du mit theuer. Ein Spatz saß ich am Rand der überfüllten Scheuer. Ein Adler horst ich frei auf hohem Grat. Die Stimmen der Höflinge, Geschrei und Lug und List verschwimmen. Wie tief das Städtlein schweigt! Wie sich die Schwalben schwingen! Im Gras die Grille geigt und die Soldaten singen.

    in: Fleischer, Max. Der Porzellanpavillon. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay Verlag, 1927. p. 13-15.
  • Qiu xing ba shou (4) "Wen dao chang an si yi qi" 秋興八首(其四)“問道長安似奕棋”: Herbstwehmutlieder, "Spielt man noch die alten Spiele" (Du Fu 杜甫)
    Spielt man noch die alten Spiele wie in all den langen Jahren? Ist die Diele noch die Diele, ist das Dach das Dach noch? Fahren die Karossen noch wie immer goldumflimmert durch die Gassen? Schreiten durch die hohen Zimmer der Paläste noch gelassen schöne Frauen? Wehn Gewänder noch wie einst? Nur an den Mützen änderten sich bunte Bänder. Was kann solch ein Treiben nützen? Durch die Lande widerhallen Trommeln, die zur Fahne rufen. Die Trompeten werben. Allen ist der Weg versperrt von Hufen, die den Staub der Straßen stampfen. Die Gefilde auf und nieder sprengen Reiter. Rosse dampfen abgehetzt. Die rauhen Lieder der Gefangnen läuten, läuten in den Lüften wie die Glocken. Sinnend frag ich: Was bedeuten diese Zeichen? Heb erschrocken oft das Haupt. Ein starres Schweigen liegt auf meiner Festung. Fische, die im See sich seltner zeigen, steigen tiefer, eine Nische im Geklippe zu erhaschen. Süsse Heimat goldner Tage, die versanken, laß mich naschen deinen Seim! Wie eine Sage lebst du hinterm Nebelruße dieses Tals in blauer Milde. Meine, ach, so reiche Muße ist erfüllt von deinem Bilde.

    in: Fleischer, Max. Der Porzellanpavillon. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay Verlag, 1927. p. 16f.
  • Qiu xing ba shou (5) "Peng lai gong que dui nan shan" 秋興八首(其五)“蓬萊宮闕對南山”: Herbstwehmutlieder, "Holde Täuschung! Deutlich seh ich" (Du Fu 杜甫)
    Holde Täuschung! Deutlich seh ich – ist's ein Traum nur? – hoch vom Berge in die Wolken Blitze schleudernd eine goldne Säule ragen, drauf mit aufgereckten Armen der Unsterbliche die Schale über sich hebt, Tau des Himmels aufzufangen und zu spenden; seh das prangende, gewölbte Haus am See, an dessen Ufer die erlauchte Si-Wang-Mu, sich an eines Vogels Fittich schmiegend, sanft zur Erde schwebte; seh das Tor, das Rauch umwogte, als Laotse mit den Büchern seiner Lehre durchschritt, aufglühn. Halberwacht seh ich noch immer die Fasanenwedel fächeln, rosig angehauchten Wölkchen gleichend, Kühlung wehen; seh des Kaisers Auge leuchten, seines goldnen Drachenpanzers Schuppen in der Sonne glänzen, seh mich selber lächelnd stehen an der himmelblauen Pforte, von den Bittenden umlagert, die sein Antlitz schauen wollen; alles, was ich einst besessen, stellt ein Traumbild mir vor Augen. Wie soll ich dies wüste Bergland nun ertragen, mich bescheiden, meine letzten Tage einsam in der Öde zu verleben?

    in: Fleischer, Max. Der Porzellanpavillon. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay Verlag, 1927. p. 18f.
  • Qiu xing ba shou (6) "Qu tang xia kou qu jiang tou" 秋興八首(其六)“瞿塘峽口曲江頭”: Herbstwehmutlieder, "Von den kahlen Felsenklüften" (Du Fu 杜甫)
    Von den kahlen Felsenklüften dieser Berge bis nach Haus schweben Wolken in den Lüften. Leise klingt der Herbsttag aus. Leuchtend wandeln sie im Wiegen um das Schlößlein überm See. Selig jetzt im Park zu liegen! Ach, mich übermannt das Weh. Schlanke Säulen an den Wegen, Zelte perlenübersäet, seltene Tiere in Gehegen! – Weinen muß ich früh und spät. Segel aus geblümter Seide und ein Mast aus Elfenbein, auf dem Wasser blinken beide blauumglänzt im Abendschein. Schmerzlich süße Wehmutlieder, die ich in ein Sträußchen band, heben leuchtend ihr Gefieder, schweben heim zum alten Strand.

    in: Fleischer, Max. Der Porzellanpavillon. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay Verlag, 1927. p. 19f.
  • Qiu xing ba shou (8) "Kun wu yu su zi wei yi" 秋興八首(其八)“昆吾御宿自逶迤”: Herbstwehmutlieder, "Wenn in der Sternnacht gelinde" (Du Fu 杜甫)
    Wenn in der Sternnacht gelinde die himmlische Weberin steht – wie hat im flackernden Winde Wu-Tis Standarte geweht! – am See, wo das Steingebilde des Walfischs im Wasser liegt, den Herbst dem Sommergefilde zu künden, die Flossen biegt, denkt dann wohl einer in Treue des Armen in ferner Welt? Daß mich ein Gruß erfreue, hätt er ein Zeichen bestellt! Auf schwellenden Wogen schwimmen jetzt Körner von Wasserreis. Die Lotosblumen glimmen frostgeflammt schon im Kreis. Ach, die geliebten Stätten, wo ich einst träumend ging, sind mir durch Bergesketten und durch den Wasserring wogenrollender Meere genommen. Ich stehe geneigt und, wie ein Fischer die Fähre, während der Brandung steigt, sorgend ans Land zieht, reiße ich jäh aus dem Herzen die Not. Über dem Wellengegleiße färbt sich der Himmel rot.

    in: Fleischer, Max. Der Porzellanpavillon. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay Verlag, 1927. p. 21f.
  • Qiu xing ba shou (8) "Kun wu yu su zi wei yi" 秋興八首(其八)“昆吾御宿自逶迤”: Herbstwehmutlieder, "Flimmernde Hügel über dem kleinen Teich" (Du Fu 杜甫)
    Flimmernde Hügel über dem kleinen Teich, wie war ich im Anschaun euerer Linie reich! Abends, wenn sanft eine leichte Brise flog, saß ich am See, der sich wie ein Halbmond bog. Köstlicher Reis wuchs reich und mundete. Manches Pud ließ man den Vögeln, die man alle zur Tafel lud. In den Wipfeln ganz hoch schillerte im Geäst farbig der Phönix und pries leise sein himmlisches Nest. Schlanke Mädchen der Stadt kamen ans Seegestad. War man ein Weilchen allein, nahm man ein kühles Bad. Denkst du noch, Li-Tai-Pe, an unseren lachenden Kreis? Auf den Kähnen im See sang man der Lieblichen Preis. Von den Hügeln flog neckend zurück der Klang. Wie ist das fern heut, fern! Wie ist das lang her, lang! Laubgewinde um die Stirn! Schwermut grüßte uns nie! Heut um ein sinkendes Haupt schlingt sich die Elegie.

    in: Fleischer, Max. Der Porzellanpavillon. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay Verlag, 1927. p. 22f.
  • Shi hao li 石壕吏: Rekrutenwerbung (Du Fu 杜甫)
    Die Sonne war im Sinken. Schleier umschwebten Feld und Wiese schon. Mich traf ins Herz die tiefe Feier des Abends wie ein Flötenton. Ein kleines Dorf am Wege sah ich und dacht, ein Lager für die Nacht zu suchen. Müden Fußes nah ich mich einem Hof, von Laub umlacht. Da tritt ein Mensch, der Männer fahndet, von ungefähr mit mir ins Haus. Ein morscher Greis, der Unheil ahnet, erhebt sich jäh und stürmt hinaus. Die alte Bäurin kommt erschrocken zu uns, erkennt den Werber, sagt: "Hier ist vergeblich euer Locken. Kein Mann im Hof! Gott sei's geklagt! Dabei sieht sie wie traumverloren ins Dunkel, ob der Greis entkam. Der Werber schreit ihr in die Ohren: "Du Metze, kennst du keine Scham? Dem Kaiser willst sein Recht du wehren?" Sie sagt: "Drei Söhne, auf mein Wort, besaß ich. Mit des Kaisers Heeren zog einer wie der andre fort. Erst gestern kam ein Brief des Einen: "Zwei, Mutter, sind schon tot. Auch ich bin bald vielleicht nicht mehr, doch weinen sollst nicht, lieb Mutter. Inniglich küßt dich dein Wang." Die Tränen rollen um faltige Haut. Der Gockel kräht. Zwei Jungen sind tot! Der Mann verschollen!" Sie spricht's und späht hinaus und späht. "Ein Enkelkind nur in der Wiege hab ich. Ein Fläschchen zieht es groß, das Edelstümpfchen! An der Stiege dort liegt das Kleine, nackt und bloß. Steinalt zwar bin ich, doch zum Kochen taug ich euch leicht. Gern geh ich mit!" Sich hat dem Werber sie versprochen, nimmt's Kind und wandert mit ihm Schritt. Die Nacht vergeht. Vom Acker schleichen: ein Greis, ein Schatten, eine Angst. Scheu um das Haus seh ich ihn streichen. Jetzt fragt er leise: "Mutter, langst kein Frühstück heut heraus du?" – Stille im weiten Rund. Er weiß noch nicht, daß er allein. Im Gras die Grille zirpt wie vor eh. Ein Augenlicht, das halb verglomm, irrt durch die Zimmer. Jetzt findet er ein Stück Papier. Er liest's im Frühschein, liest. – Gewimmer stöhnt auf, erlischt. Sein Aug starrt stier. Er prüft die Balken, ob sie taugen. Nun tastet er sich an's Genick. Ein Irrblick flackert aus den Augen. Dann nimmt und streichelt er den Strick.

    in: Fleischer, Max. Der Porzellanpavillon. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay Verlag, 1927. p. 55-57.
  • Song bie "Xia ma yin jun jiu" 送別 “下馬飲君酒”: Abschied (Wang Wei 王維)
    Kinder, macht mir's nicht schwer! Ich geh. Laßt uns ein kleines Trostwort frommen! Sprechen wir nur vom Wiederkommen! Es geht ja nicht über Land und See. Zeit ist es worden, Abschied zu nehmen. Weint nicht! Auch mir ist das Weggehn schwer. Da – meine Hand! Kommt alle her! Lebt wohl! Lebt wohl! Man muß sich bequemen. Seht, wie der Staub wölkt! Algen stehn auf den Wassern, rötlich beschienen. Ihr auch seid da von meinen Salinen! Was kann mir, ihr Treuen, noch Arges geschehn? Wen seine Leute lieben, sei froh! Passet auf's Haus mir! Schonet die Rinder! Lebt wohl, ihr Weiber! Gebt acht auf die Kinder! Friede mit euch! Ich freue mich so. – Er ging. Ich lausche dem Ruf des Fasans. Die Ruhe! Nun will ich bei Lampenschein lesen. Er hat ein so männlich gefestigtes Wesen, und doch –– er weinte! Wir alle sahn's. Ging er auch weit weg, man kann ihn erreichen. Überall ist er vom Himmel umblaut. Horch! Der Storch auf dem Dachfirst baut klappernd sein Nest. Ein freundliches Zeichen.

    in: Fleischer, Max. Der Porzellanpavillon. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay Verlag, 1927. p. 41f.
  • Xiong zhai 凶宅: Die Unglückshäuser (Bai Juyi 白居易)
    in: Fleischer, Max. Der Porzellanpavillon. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay Verlag, 1927.
  • Xu gu shi shi shou (2) "Yan lei bie xiang li" 續古詩十首(其二) "掩涙别鄊里": Das Grab am Wege (Bai Juyi 白居易)
    in: Fleischer, Max. Der Porzellanpavillon. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay Verlag, 1927.
  • Xuan zhou xie tiao lou jian bie jiao shu shu yun 宣州謝朓樓餞別校書叔雲: Leitspruch (Li Bai 李白)
    Wer vermag des Gestern Schwinden aufzuhalten, wer dem heute seine kummerschwere Beute, seine Herznot zu entwinden? Wandervögel nahn in Schwärmen, fliegen vor dem Herbstwind, wiegen sich am Himmel, fliegen, fliegen! Soll ich mich drob endlos härmen? In das Hochgebirge steigen will ich und von schroffer Warte becherschwingend die Standarte meines Tags den Tälern zeigen. An die großen Dichter denk ich, die in alten Zeiten schufen, an die großen goldnen Stufen in den Himmel; selig senk ich meine Seele in sie; fühle süße Schauer mich durchgluten; trinke ihrer hochgemuten Sinne Feuerweine. Ziele waren noch für jede rege Dichterschwinge jene fernen Vorzeitgeister, die den Sternen nahe sind. Wer sie erflöge! Kann das Schwert die Silberschleifen eines Wasserfalls zerteilen? Können wir die Schwermut heilen, die wir trunken kaum begreifen? Zwischen Sehnsucht und Erfüllung schweben wir in diesem Leben. Sollen wir uns darum ergeben? Unsrer wilden Wünsche Stillung liegt in jugendstarkem Wagen. Einen Kahn gilt es besteigen und den Mächten, die uns beugen unsern Trotz ins Antlitz schlagen.

    in: Fleischer, Max. Der Porzellanpavillon. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay Verlag, 1927. p. 45f.
  • Ye yan zuo shi zhuang 夜宴左氏莊: Die Dichter (Du Fu 杜甫)
    Der See lag klar im blauen Licht. Leicht bauschte sich im Wind das Laub. Noch hing in allen Zweigen silberkühler Glimmer. "Nun stimmt die Saiten", sprach ich, "singen wir!" Hört ihr den sanften Glucklaut, den der Bach vor Freude ausstößt, weil das Firmament mit allen Sternen sich zu ihm geneigt hat? Die lilienarmigen Wellen rühren heut mit schmal zum Kuß gespitzten Lippen fast an jeden armen Halm im Uferkies. Sternenflammen stehn im See, doch blickt empor, welch sterngestickten, schönen Baldachin die blaue Nacht um unsern Pavillon mit liebevollen Händen hebt! O Gnade!" Ich sprach's, und allen war die Welt verwandelt, die Sommernacht umduftete uns schwül. Die Verse strömten wie ein Frühlingsregen. Die Dichter schwiegen, malten ihre Lieder in schlichten Zeichen auf das Pergament. Es schien ein jeder Bange, daß die Fackeln verlöschen könnten, eh die reiche Ernte geborgen und in Garben eingeheimst sei. Griff einer an das Schwert, da er bedachte, daß er durch ödes Heideland nach Hause noch müsse und daß viel Gesindel laure, vergaß er's bald, so blau war diese Nacht. Er malte sein Gedicht, als gäb es nichts, was seinem Herzen näher sei; er schrieb. Die Becher wurden leer und wieder voll. Schon war manch Sternbild in den See gestiegen. Da! - Einer hub die wehmutvolle Weise, das uralt feierliche Lied des Abschieds, zu singen an und alle stimmten ein. Dann sang man eins der schönen Lieder noch, die heute erst die Sternennacht geboren, und schon saß jeder Freund in seinem Kahn und setzte seine Ruder ein und schwebte isn Dunkel. Wind umschmeichelte den Hals, Wind legte sich ins Haar und an die Wange und goß in jedes Lied den Hauch der Kelche aus tausend Gärten, die er überflogen. Still lag der Pavillon aus Porzellan im See, umhegt von tiefem blauen Licht.

    in: Fleischer, Max. Der Porzellanpavillon. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay Verlag, 1927. p. 117f.
  • Yue xia du zhuo si shou (1) "Hua jian yi hu jiu" 月下獨酌四首(其一)“花間一壺酒”: Die drei Gesellen (Li Bai 李白)
    Im Gartenhause sitz ich beim Wein und hätte zu gern einen Zechkumpan. Da grüßt mich der Mond mit rieselndem Schein. Von der Wand her grinst mich mein Schatten an. Herr Mond, magst nicht mein Geselle sein? Herr Schatten, du machst alle Sprünge mir nach? Holla, ihr Schelme, wir zechen zu drein! Holla, schenkt ein, schenkt, ein, schenkt ein! Noch liegt unser Acker nicht brach. Herr Mond, was lachst du zu meinem Gesing, Herr Schatten, was willst du mit deinem Gespring? Solange ich nüchtern bin, sind wir zu dritt. Lieg ich unterm Tisch, schnarcht mein Schatten mit. Mondfackel, lisch aus, lisch aus! Wir trennen uns ohne Händedruck. Doch morgen abend, herzlieber Spuk, sind wieder dreie im Haus.

    in: Fleischer, Max. Der Porzellanpavillon. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Berlin, Wien, Leipzig: Paul Zsolnay Verlag, 1927. p. 70.