Hans Bethge
male (1876–1946)
Wikidata ID: Q67943 | de: Hans Bethge (Dichter) | en: Hans Bethge (poet)
German writer and poet
Translations
75-
Bei ge xing 悲歌行: Der Tanz der Götter (Li Bai 李白)
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Zu meiner Flöte, die aus Jade ist, Sang ich den Menschen tief bewegt ein Lied – Die Menschen lachten, sie verstanden's nicht. Da hob ich schmerzvoll meine Flöte, die Aus Jade ist, zum Himmel auf und brachte Mein Lied den Göttern dar. Die Götter waren Beglückt und huben auf erglühnden Wolken Nach meinem Lied zum tanzen an... Nun singe ich mein Lied den Menschen auch Zur Freude; nun verstehen sie mich auch, Spiel ich das Lied auf meiner Flöte, die Aus Jade ist...–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1907. p. 25.
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Bei ge xing 悲歌行: Das Trinklied vom Jammer der Erde (Li Bai 李白)
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Schon winkt der Wein in goldenen Pokalen, – Doch trinkt noch nicht! Erst sing ich euch ein Lied! Das Lied vom Kummer soll euch in die Seele Auflachend klingen! Wenn der Kummer naht, So stirbt die Freude, der Gesang erstirbt, Wüst liegen die Gemächer meiner Seele. Dunkel ist das Leben, ist der Tod. Dein Keller birgt des goldnen Weins die Fülle, Herr dieses Hauses, – ich besitze andres: Hier diese lange Laute nenn ich mein! Die Laute schlagen und die Gläser leeren, Das sind zwei Dinge, die zusammen passen! Ein voller Becher Weins zur rechten Zeit Ist mehr wert als die Reiche dieser Erde. Dunkel ist das Leben, ist der Tod. Das Firmament blaut ewig, und die Erde Wird lange feststehen auf den alten Füßen, – Du aber, Mensch, wie lange lebst denn du? Nicht hundert Jahre darfst du dich ergötzen An all dem morschen Tandem dieser Erde, Nur Ein Besitztum ist dir ganz gewiß: Das ist das Grab, das grinsende, am Ende. Dunkel ist das Leben, ist der Tod. Seht dort hinab! Im Mondschein auf den Gräbern Hockt eine wild-gespenstische Gestalt. Ein Affe ist es! Hört ihr, wie sein Heulen Hinausgellt in den süßen Duft des Abends? Jetzt nehmt den Wein! Jetzt ist es Zeit, Genossen! Leert eure goldnen Becher bis zum Grund! Dunkel ist das Leben, ist der Tod.–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1907. p. 21f. –
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1920. p. 21f. –
in: Jaspert, Reinhard. Lyrik der Welt. Lyrik und Weisheit des Auslandes. Berlin: Safari-Verlag, 1953. p. 117f. -
Bo xi 伯兮: Vereinsamt (Anonymous (Shijing))
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Er ist von den Erlesenen der stärkste, Er ist der tapferste von allen Kriegern, Der Vielgeliebte, dem mein Herz gehört! Wie stolz trägt er die Lanze, hoch zu Pferde In seines Königs Vorhut! Aber wehe! Er mußte fern gen Osten in den Krieg. Ich lasse meine Haare niederhängen, Es macht mir keine Freude, sie zu pflegen, Ich gebe sie dem Spiel des Winters preis. Ich habe viele köstliche Essenzen Und Edelsteine und gestickte Bänder, - Doch mich zu schmücken trag ich keine Lust. Denn Er ist fern! Ha! Wie die goldne Sonne Mir weh tut, samt den purpurfarbnen Wolken, Die so voll Glanz am hellen Himmel stehn! Ich möchte lieber, daß ein rauher Regen Herniederrauscht, indessen meine Seele Sich ganz versenkt in ihren dumpfen Schmerz. Ich weiß es wohl, wo man die Blume findet, Die wundertätige, die Vergessen spendet, - Sie wächst nach Norden hin bei unserm Haus. Von meinen Händen wird sie nicht gebrochen, Denn ich will nimmer-, nimmermehr vergessen, Tobt auch Verzweiflung wild durch mein Gemüt. Ich liebe die Verzweiflung, die mich tötet, Denn sie verbindet mich mit dem strahlend Schönen, Dem Vielgeliebten, dem mein Herz gehört!–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1907. p. 3f. –
in: Strasser, Charlot. Das Drachenpferd. Chinesische Dichtungen, Betrachtungen darüber. Zürich, New York: Verlag Oprecht, 1942. p. 22f. -
Bo zhou "Fan bi bo zhou, zai bi zhong he" 柏舟 "汎彼柏舟,在彼中河": Die junge Witwe (Anonymous (Shijing))
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Die schmale Barke aus Zypressenholz Treibt wogend auf dem Fluß. Mein Haupthaar fiel Unter der Schere, – mein Gemahl ist tot. Ich habe einen heiligen Schwur getan: Mich nimmermehr, so lang mein Atem geht, Mit einem andern Manne zu vereinen. Die köstlichsten Geschenke bietet mir Die eigne Mutter, um mich umzustimmen, – Was weiß sie von dem Schmerz in meiner Brust! Die schmale Barke aus Zypressenholz Treibt wogend auf dem Fluß. Mein Haupthaar fiel, – Nur einige kleine Locken ließ man mir. Die künden, daß ich einer neuen Ehe Geneigt sei; doch durch meinen heiligen Schwur Gebunden, laß ich nie mich darauf ein. Die köstlichsten Geschenke bietet mir Die eigne Mutter, um mich umzustimmen, – Was weiß sie von dem Schmerz in meiner Brust!–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 1. -
Cai lian qu "Ruo ye xi bang cai lian nü" 采蓮曲“若耶溪傍采蓮女”: Am Ufer (Li Bai 李白)
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Junge Mädchen pflücken Lotosblumen An dem Uferrande. Zwischen Büschen, Zwischen Blättern sitzen sie und sammeln Blüten, Blüten in den Schoß und rufen Sich einander Neckereien zu. Goldne Sonne webt um die Gestalten, Spiegelt sie im blanken Wasser wieder, Ihre Kleider, ihre süßen Augen, Und der Wind hebt kosend das Gewebe Ihrer Ärmel auf und führt den Zauber Ihrer Wohlgerüche durch die Luft. Sieh, was tummeln sich für schöne Knaben An dem Uferrand auf mutigen Rossen? Zwischen dem Geäst der Trauerweiden Traben sie einher. Das Roß des Einen Wiehert auf und scheut und saust dahin Und zerstampft die hingesunkenen Blüten. Und die schönste von den Jungfraun sendet Lange Blicke ihm der Sorge nach. Ihre stolze Haltung ist nur Lüge. In dem Funkeln ihrer großen Augen Wehklagt die Erregung ihres Herzens.–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1907. p. 26f. –
in: Braun, Felix. Die Lyra des Orpheus. Lyrik der Völker in deutscher Nachdichtung. Wien: Paul Zsolnay Verlag, 1952. p. 34. -
Cai lü 采綠: In Erwartung (Anonymous (Shijing))
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Nun will ich bis zum Abend Blumen sammeln; Noch hab ich nicht so viel, die hohlen Hände Damit zu füllen. Käm mein Freund doch heim! Mein Haar weht ungepflegt im Winde. Abends Bei meiner Heimkehr will ich's gerne kämmen, Jetzt muß ich Blumen für den Liebsten sammeln, Am fünften Tage wollt er wiederkehren, Heut ich der sechste – und er ist nicht da! O käm er doch! Wie gerne will ich ihm, Wenn er zur Jagd geht, seinen Bogen rüsten, Wie gerne will ich ihm das Netz bereiten, Wenn er zum Fischen ausgeht. Käm er nur!–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 4. -
Chu ye su shi tou yi 除夜宿石頭驛: Bei Jahresschluss in einer Herberge (Dai Shulun 戴叔倫)
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Wer kümmert sich um mich in diesem Haus? Mit wem soll ich hier sprechen? Eine Lampe, Erloschen, ist mein einziger Kumpan. In dieser Nacht stürzt wiederum ein Jahr Ins Jenseits. Tausende von Meilen hab ich Durchwandert, – meine Heimat blieb mir fern. Allein mit meinen Sorgen, seh ich all Mein Leben vor mir. Ist es nicht entsetzlich, Daß wir so ruhlos sind in dieser Welt? Mein Antlitz ist voll Kummer. Meine Haare Sind an den Schläfen silbergrau, – so fang ich Das neue Jahr, den neuen Frühling an. Schon viele Jahre sind hinabgeflossen Und haben meine Seele nicht besänftigt, – Was soll ich hoffen von dem neuen Jahr? Von den Genossen meiner Jugend haben Nur einige erreicht, was sie ersehnten, – Die meisten hat der Tod hinweggerafft. Ich will von nun an weiter nichts als: Ruhe, Verachtet, sei mir alles eitle Streben, – Nur Ruhe, Ruhe will mein müdes Herz. Des Frühlings Schönheit war von je die gleiche Seit Ewigkeiten und wird es immer bleiben, Sie altert niemals, zeitlos ist ihr Glanz. Ich seh des Frühlings Wunder um mich leuchten Vom Fenster meiner ärmlichen Behausung, – Ein Fürst sieht sie nicht anders vom Palast.–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 74f. -
Chun meng 春夢: Ein Frühlingstraum (Cen Shen 岑參)
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In der vergangnen Nacht stahl sich der Hauch Des Frühlings in die Tiefen meines Zimmers. Und meine Seele eilte weit hinweg Bis an den Kiang-Fluß, wo sie frohlockend Das Mädchen fand und küßte, das ich liebe. Ganz kurz nur war der Traum, denn kurze Zeit War es mir nur vergönnt im Schlaf zu ruhn. Doch hat die kurze Zeit vollauf genügt, Daß meine Seele bis zum Kiang-Flusse Enteilte, wo sie seligen Entzückens Das Mädchen fand und küßte, das ich liebe.–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 84. -
Chun ri yi li bai: "Bai ye shi wu di" 春日憶李白“白也詩無敵”: Sehnsucht nach Li-Tai-Po (Du Fu 杜甫)
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O Li-Tai-Po! Unübertrefflich schön Sind die Gedichte, die du Edler bildest. Ich möchte sie dem frischen Wind vergleichen Des Lenzes, der nur edle Düfte bringt. Sie sprühn von einem märchenhaften Glanze, Wie nur die Verse größter Dichter tun. Sie sind bis in das Letzte wunderbar Gestaltet und von vornehm-mächtigem Schwung. In diesem Augenblick seh ich die Bäume Des Frühlings vor dem blauen Himmel stehn. Du aber weilst im Osten, an dem Ufer Des Großen Flusses, wo schon Abend ist. O wann, o wann wird das Geschick einmal Vereint uns finden bei erlesenem Weine? Wie wir dann plaudern wollen, ohne Ende, Von letzten Dingen über Welt und Kunst ...–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 63. -
Chun ri zui qi yan zhi 春日醉起言志: Der Trinker im Frühling (Li Bai 李白)
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Wenn nur ein Traum das Dasein ist, Warum dann Müh und Plag? Ich trinke, bis ich nicht mehr kann, Den ganzen lieben Tag. Und wenn ich nicht mehr trinken kann, Weil Leib und Kehle voll, So tauml' ich hin vor meiner Tür Und schlafe wundervoll! Was hör ich beim Erwachen? Horch, Ein Vogel singt im Baum. Ich frage ihn, ob schon Frühling sei, – Mir ist als wie im Traum. Der Vogel zwitschert: ja, der Lenz Sei kommen über Nacht, – Ich seufze tief ergriffen auf, Der Vogel singt und lacht. Ich fülle mir den Becher neu Und leer' ihn bis zum Grund Und singe, bis der Mond erglänzt Am schwarzen Himmelsrund. Und wenn ich nicht mehr singen kann, So schlaf ich wieder ein. Was geht denn mich der Frühling an Lasst mich betrunken sein!–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1920. p. 28f. –
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1923. p. 28f. –
in: Bannach, Mark. Trinkpoesie. Gedichte aus aller Welt, Universal-Bibliothek. Stuttgart: Philipp Reclam jun., 1989. p. 36. -
Chun su zuo sheng 春宿左省: Schlaflos (Du Fu 杜甫)
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Die Sonne stieg hinab. Die Blumen schlafen Im Schutz der Mauer. Aus den Zweigen tönt Der Vögel leises Zwitscherlied im Traum. Im Glanze der Myriaden Sterne liegen Die Häuser da und funkeln. Groß und schön Steigt nun der Vollmond über den Palast. Ich schlafe nicht. Ich höre wie der Wächter Die Stunden kündet mit der goldnen Klapper Und wie er weiter durch die Straßen zieht. Ein Wind braust auf. Es klirrt etwas. Mir ist, Die schönsten Edelsteine klirrten an Den goldnen Gürtelbändern der Minister ... Sobald das erste, zarte Morgenrot Am Horizont auftaucht, erheb ich mich Und geh zum Kaiser, – darum bleib ich wach: Der Kaiser liebt es, in der Morgenfrühe Mich zu empfangen, daß ich ihm erzähle Vom Duft und Glanz der hingeschwunden Nacht.–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 50. -
Chun ye luo cheng wen di 春夜洛城聞笛: Die geheimnisvolle Flöte (Li Bai 李白)
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An einem Abend, da die Blumen dufteten Und alle Blätter an den Bäumen, trug der Wind mir Das Lied einer entfernten Flöte zu. Da schnitt Ich einen Weidenzweig vom Strauche, und Mein Lied flog Antwort gebend durch die blühende Nacht. Seit jedem Abend hören, wann die Erde schläft, Die Vögel ein Gespräch in ihrer Sprache.–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1920. p. 35. –
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1923. p. 35. –
in: Görsch, Horst. China erzählt. Ein Einblick in die chinesische Literatur. Berlin: Volk und Wissen volkseigener Verlag Berlin, 1953. p. 163. -
Chun ye xi yu 春夜喜雨: Der Frühlingsregen (Du Fu 杜甫)
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Der holde, liebe Frühlingsregen weiß, Wann die Natur ihn sich ersehnt. Er naht, Und neues Leben blüht in seiner Spur. Er hat die Nacht gewählt zu seiner Ankunft, Er kam auf einem weichen, warmen Winde Und netzte alles sanft mit seinem Tau. Die Wolken lagen gestern abend dunkel Über dem Weg, der mich nach Hause führte, Einzelne Lichter blinkten auf dem Strom. Nun in der Frühe leuchten alle Felder, Der Himmel lacht, und süßer Duft der Blumen Quillt wohlig aus den kaiserlichen Gärten.–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1907. p. 49. –
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1920. p. 49. –
in: Oehlke, Waldemar. Chinesische Lyrik und Sprichwörter. Bremen-Horn: Walter Dorn-Verlag, 1952. p. 64.
Translation quoted from "Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik (Leipzig 1907) p. 49. -
Deng gao 登高: Herbstwanderung (Du Fu 杜甫)
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Der Wind heult, hohe Wolkenfetzen jagen, Der Wald ist voll vom Wehgeschrei der Affen, Das goldne Herbstlaub raschelt durch die Luft. Über den Ufersand des Flusses tummeln Sich Vögel. Schwellend ist der Fluß gestiegen, Gewaltige Wassermengen ziehn zu Tal. Trostloses Bild des Herbstes weit und breit! Ich bin ein Fremdling diesen Fluren. Krankheit Und Jahre haben meine Kraft zermürbt. Ich steige einsam zu den grauen Bergen, Kummer und Leiden haben schon seit langem Mein altes Haar zu jungem Schnee gebleicht. Ich kann nicht mehr, ich muß mich niedersetzen. Hätt ich jetzt einen Becher Wein in Händen! Doch, ach, auch dieses Glück bleibt mir versagt ...–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 51. -
Dui jiu xing "Song zi qi jin hua" 對酒行 “松子棲金華”: Frage (Li Bai 李白)
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Das Leben saust gleich einem Blitzstrahl hin, Der kaum so lange währt, daß man ihn sieht. Die Erde und der Himmel stehen hoch Und herrlich, von den Zeiten nicht berührt. Weh, über das Gesicht des Menschen fliegt Die Zeit mit Glück und Unglück, schicksalsschwer. Der du beim vollen Becher sitzest und Nicht trinkst, – sag, worauf wartest Du? – Worauf?–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 22. -
Guan cang shu 官倉鼠: Die Ratte (Cao Ye 曹鄴)
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Ratte in meinem Hirn! Du fürchterliches Geschöpf! Zernage nicht mein junges Hirn, Grausames Tier, zerstöre mich nicht ganz! Drei Jahre lang ertrag ich nun die Qual, Das Wüten deiner Zähne läßt nicht nach, Unsonst sind meine Bitten und mein Flehn. Ich möchte fliehn! O wüßte ich ein Land, Ein seliges Land, wo ich mein Haus von neuem Errichten dürfte, ohne daß du folgst! Wüßt ich ein Land, wo ich den Frieden fände, Wo diese Marter weicht aus meinem Hirne, Wo mein Gewissen endlich ruhen darf!–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1920. p. 17. –
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1923. p. 17.
Hans Bethge probably wrongly attributed this to Cao Ye, while his translation seems to be based on the poem Shuoshu 碩鼠 of the Shijing. -
Guo gu ren zhuang 過故人莊: Idyll (Meng Haoran 孟浩然)
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Ein alter Freund hat mich gebeten, ihn In seinem schönen Landhaus zu besuchen; Er setzt mir Huhn mit Reis als Mahlzeit vor. Riesige Bäume schatten um sein Dorf, Am Horizonte heben sich die Spitzen Der blauen Berge klar vom Himmel ab. In offner Halle ist das Mahl bereitet, Wir lassen lächelnd unsre Blicke schweifen Über den bunten Garten bis ins Feld. Wir gießen Wein in unsre Becher, trinken Und plaudern von dem Leben und der Liebe, Vom Hanf und von der Frucht des Maulbeerbaums. Wenn erst im Herbst die Chrysanthemen blühen, Dann, Freund, will ich von neuem zu dir kommen, Daß wir gemeinsam uns der Blüten freun!–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 12. -
Ji li shi'er bai er shi yun 寄李十二白二十韻: An Li-Tai-Po (Du Fu 杜甫)
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O Li-Tai-Po, Unsterblicher, Geliebter! Du bist der Quell des Lebens, klar und reich. Das Zepter, das der Sohn des Himmels schwingt, Ist nicht so machtvoll wie dein Pinsel ist. Das blanke Schlachtschwert in der Hand des Kriegers Kommt deinem Pinsel an Gewalt nicht gleich. Der Sommerhimmel glänzt so herrlich, – nichts Läßt ahnen, daß sich ein Gewitter naht. Da jählings jagt der Wind die Wolkenhaufen Zusammen, und ein Regen stürzt herab –: So läßt das Stürmen deines Geistes plötzlich Die Verse strömen auf ein Blatt Papier. Die Verse sind die Tränen deiner Seele, Sie strömen schweigend aus dem Pinsel fort. Kaum daß du dein Gedicht beendet hast, Und Strafe steht bei Strafe leuchtend da: So hört man um dich her ein sanftes Raunen Der Geisterseher, die dich bewundernd grüßt ...–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 42. -
Jiang jin jiu 將進酒: Lob des Genusses (Li Bai 李白)
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Siehst du, o Her, die breiten Fluten wallen Des Gelben Flusses? Von dem Himmel strömen Sie nieder, und im Meer ersterben sie. Herr, blickst du niemals in die Spiegel, die Dein Zimmer schmücken? Seufzest du dann nicht, Wenn du dein weiß gewordnes Haar erblickst? Heut morgen war dein Haar noch schwarz und schimmernd Wie edle Seide, – heute Abend schon Ist es mit frisch gefallnem Schnee vermischt. Wer dieses Leben recht begreift, ist heiter Soviel er kann – und sorgt für volle Becher, Wenn blaues Mondlicht durch die Nächte rinnt. Der Himmel will, daß wir die Schätze nützen, Die er uns gab. Das Gold, das ich verstreue, Kann eines Tages wieder bei mir sein. So richtet einen Hammel her! Zerteilt Ein Rind! Und lustig! Heute wollen wir Dreihundert Becher leeren um und um! Das Spiel der Glocken und der Klang der Trommeln Sind Dinge, die entbehrlich sind. Wir sehnen Uns nach dem großen Rausch, der endlos ist! Die Weisen und Gelehrten alter Zeiten Sind längst vergessen. Uns, den großen Zechern, Wikt Ruhm und strahlende Unsterblichkeit!–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 27f. -
Jiang shang yin 江上吟: Lied auf dem Flusse (Li Bai 李白)
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Aus Ebenholz ist meine Barke, Und meine Flöte ist aus Jade, Und ihre Löcher sind beschlagen Mit Ringen aus dem reinsten Gold. Und Wein! So wie der Saft der Pflanzen Mein Seidenkleid von Flecken säubert, So löscht der Wein die dunkeln Flecken Aus meinem Herzen ganz hinweg. Ein goldner Krug voll goldnen Weines, Ein schlankes Fahrzeug auf dem Flusse Und Frauengunst – : Mir ist, ich wäre Gesellt dem Kreis der Himmlischen!–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1907. p. 34.
Excerpt. -
Jin ling san shou (3) "Liu dai xing wang guo" 金陵三首(其三)“六代興亡國”: Gesang an Nang-King (Li Bai 李白)
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Sechs Königreiche sahest du, o Stadt, Erblühen und vergehn. Heut weih ich dir Drei Gläser goldnen Weins und dieses Lied! Wohl gibt es größre Gärten als die deinen, Doch deine Hügel schimmern köstlich wie Das vielberühmte Bergland von Lo-Yang. Hier war die Wohnstatt mächtiger Monarchen, In ihren Schlössern herrschte Glanz und Fülle, Jetzt wuchert Gras auf den Ruinen hin. Die Herrlichkeit erstarb zu Schutt und Trümmern, Das Dasein ist vergänglich, – Menschen, Taten, Es schwindet alles in den Strom der Zeit. Es schwindet alles wie die Wogen schwinden Des gelben, reißenden Yang-Tse-Kiang-Flusses, Der sterbend strömt ins uferlose Meer.–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 32. -
Jing ye si 靜夜思: In der Fremde (Li Bai 李白)
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In fremdem Lande lag ich. Weißen Glanz Malte der Mond vor meine Lagerrstätte. Ich hob das Haupt, – ich meinte erst, es sei Der Reif der Frühe, was ich schimmern sah, Dann aber fühlte ich: Der Mond, der Mond... Und neigte das Gesicht zur Erde hin, Und meine Heimat winkte mir von fern.–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1907. p. 36. -
Kou hao wu wang mei ren ban zui 口號吳王美人半醉: Liebestrunken (Li Bai 李白)
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Im Garten des Palastes streift der Wind Mit weichem Anhauch über Lotosblumen, Auf der Terrasse, wohlig hingestreckt In bunte Seidenkissen, ruht der König. Vor ihm tanzt Si-Chy, funkelnd wie die Sterne, Schön wie die Schönheit selber, schwebt und schwebt Und lächelt, lächelt, wunderbar zu schauen, Bis daß ein süß-begehrliches Ermatten In ihre Glieder sinkt; die Hüften wiegen Sich nun nicht mehr; die kleinen Füße ruhn, - Und schmachtend lehnt sie an den Jaderand, Den schimmernden, des königlichen Lagers... Die holde Si-Chy, schmachtend lehnt sie da...–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1907. p. 32. -
Lu shui qu 淥水曲: Die Lotosblumen (Li Bai 李白)
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Im Mondlicht glitzern tausend kleine Wellen, Das helle Grün des Wassers ist wie Silber, Man meint, es seien ungezählte Fische, Die auf dem Strom hinab zum Meere ziehn. Ich gleite einsam in dem leichten Nachen, Nur hin und wieder reg ich meine Ruder, Die Nacht und ihre Einsamkeit erfüllen Mein Herz, mein junges Herz mit Traurigkeit. Ich seh im Mondlicht tausend Lotosblumen, Mit Riesenblüten, die wie Perlen gleißen, Ich kose sie mit meinen Bambusrudern, Sie rauschen auf, als sprächen sie vom Glück. Sie neigen sich und winken, liebestrunken, Sie flüstern Trost in meine arme Seele, Ich blicke ganz beseligt auf sie nieder, Und meine Schwermut, die mich so bedrückte, Sinkt wie ein dunkler Schatten von mir ab.–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1907. p. 33. –
in: Jaspert, Reinhard (ed.). Lyrik der Welt. Ausland. Berlin: Safari-Verlag, 1948. –
in: Oehlke, Waldemar. Chinesische Lyrik und Sprichwörter. Bremen-Horn: Walter Dorn-Verlag, 1952. p. 56f. –
in: Görsch, Horst. China erzählt. Ein Einblick in die chinesische Literatur. Berlin: Volk und Wissen volkseigener Verlag Berlin, 1953. p. 163. -
Luo ri 落日: Bei Sonnenuntergang (Du Fu 杜甫)
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Goldgelbe Strahlen wirft die Sonne durch Den Vorhang. Auf des Stromes bunten Ufern Vollendet sich des Frühlings Herrlichkeit. DIe Gärten strömen wundersame Düfte Zahlloser Blumen aus. Auf seiner Barke Bereitet sich der Fischer Reis zur Nacht. Sperlinge, die sich ihre Nahrung neiden, Stürmen geräuschvoll durch das Laub. Insekten Mit zarten Flügeln surren dumpf im Raum. Du edler Wein! Wer gab dir diese Kräfte Des Himmels? Alle Mühsal fühl ich schwinden, Mit jedem Glase wächst mein Lebensmut ...–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 43. -
Meng li bai er shou (1) "Si bie yi tun sheng" 夢李白二首(其一)“死別已吞聲”: An den verbannten Li-Tai-Po (Du Fu 杜甫)
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Trennt uns der Tod? Ich würde schweigend trauern. Trennt uns die Ferne nur? Ich würde schallend Erheben meiner Stimme Klagelaut! Das Klima, wo du in Verbannung weilst, Ist mörderisch, ich weiß es; und so lange Hab ich von meinem Freunde nichts gehört! Die letzte Nacht erschienst du mir im Traume, Denn unsre Geister suchen sich fortwährend, – War's eines Toten Geist, der zu mir kam? War es der Geist des Freundes, der noch atmet? O weh! du bist so weit in der Verbannung, Daß ich nicht weiß, wie mir die Wahrheit wird. Das Traumbild trat aus einem grünen Haine, Dann sah ich, wie es langsam sich entfernte, Im Schatten dunkler Bäume schwand es hin. O Freund! so rief ich, – bist du nicht in Fesseln? Wo hast du denn die Flügel hergenommen, Daß du so nah zu mir dich schwingen kannst? Da wacht ich auf. Durch meine Stube glänzte Der weiße Mond, – o daß er das Antlitz Des Freundes träfe in der fernen Nacht! Daß ihm Befreiung würde! An Gefahren Hat er auch dann noch viele zu bestehen Auf seiner Rückkehr in das Heimatland. Manch Boot ist aus zu leichtem Holz gezimmert, Meerungeheuer drohen, und die Tiefen Des weiten Meeres sind erbarmungslos!–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 52f. -
Mo shang zeng mei ren 陌上贈美人: Begegnung (Li Bai 李白)
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Ich ritt ein edles Pferd von stolzem Gange. Die Frühlingsbäume hatten Blüten auf Den Weg gestreut: darüber ritt ich hin. Nun kam ein Wagen mir entgegen, fest Geschlossen. Als ich ihm zur Seite war, Rührt ich mit meiner Peitsche sanft daran. Da öffnete der Vorhang sich aus Perlen, Und wie geblendet ward ich durch das Lächeln Der schönen Frau, die in dem Polster saß. Mit einer flüchtigen Bewegung zeigte Sie in die Ferne, wo ein stattlich Haus Mit rotem Dache in der Dämmerung lag. Und eh der Vorhang wieder sie verhüllte, Hört ich sie flüstern: Reitet dort hinüber, Dort wohnt ein holdes Mädchen, das Euch liebt.–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 39. -
Not determined 未定: Das Flötenlied des Herbstes (Du Fu 杜甫)
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Du armer Wanderer! Fern dem Vaterlande Und müd und ohne Freunde, sehnst du dich Umsonst nach deiner Heimat Mutterlaut. Zwar blüht der Sommer so verschwenderisch, Daß du noch reich scheinst. Auch der Vögel Sang Ertönt wie in der Heimat dir vertraut. Doch wehe! Wenn das Flötenlied des Herbstes Dein Ohr trifft: das Gezirpe der Zikaden, – Und wenn der Sturmwind durch die Wolken wühlt! Dann wirst du das Gesicht in beide Hände Vergraben, und dein Aug wird überfließen, Und deine Seele wird sich heimwärts wenden Voll Qual in das geliebte Vaterland.–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1907. p. 48. –
in: Oehlke, Waldemar. Chinesische Lyrik und Sprichwörter. Bremen-Horn: Walter Dorn-Verlag, 1952. p. 65. -
Not determined 未定: Die Freundin des Feldherrn (Du Fu 杜甫)
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Trauernd hat der große Feldherr Seine Freundin heut verlassen, Durch das breite Stadttor ritt er In die Felder zur Armee. Da er dort in seinem Zelte Schlief und sehnsuchtsvollen Herzens Von der Wundervollen träumte, Drang ein Rascheln an sein Ohr. Wie ein Rascheln welker Blätter Klang es, und der große Feldherr Schreckte jäh empor und stützte Müd das Haupt in seine Hand. War es nicht das feine Rascheln, Das die seidenen Gewänder Seiner Freundin an sich hatten? – Und da stand sie – und er sprach: "Meine Seele war im Dunkeln, Aber jetzt ist sie voll Lachen, – O! mir ist, daß vom Gebirge Aller Schnee gewichen sei!" Also sprach der große Feldherr, Und es schimmerte sein Auge, Und er breitete die Arme Nach der Vielgeliebten aus. Lächelnd sagte da die Freundin: "O Geliebter! Weinend saß ich An dem Fenster meiner Kammer, Weinend sehnt ich mich nach dir! Sieh, da nahte sich ein Schwälblein, Das mein bittres Weinen rührte, Und es lieh mir seine Flügel, Und ich nahm sie und flog auf! Und ich flog mit Windeseile, Ja, ich bin so schnell geflogen, Daß die Eile deines Rosses Im Vergleich zu meinem Fluge Wie das Schleichen einer Schnecke, Dir mein Freund, erschienen wäre!" Lächelnd sagte sie's und schmiegte Sich erschöpft an seine Brust.–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1907. p. 51f. -
Not determined 未定: Der Kaiser (Du Fu 杜甫)
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Auf seinem Thron von neuem Golde sitzt Der Sohn des Himmels, funkelnd von Geschmeide, Die Mandarinen hocken um ihn her. Er glänzt wie eine Sonne unter Sternen, Die Mandarinen reden ernste Dinge Mit ernstem Mund und ernst erhobener Hand. Des Kaisers Sinn ist durch das offne Fenster Enteilt: Dort ruht die Kaiserin, die holde, In ihrem Pavillon aus Porzellan. Gleich einer Blüte, wundervoll entfaltet In zartem Laubwerk: also ruht sie wartend Unter den jungen Damen der Begleitung. Sie findet, daß ihr Liebster allzu lange Im Rate weilt. Voll Ungeduld und Sehnen Bewegt sie ihren Fächer hin und her. Da trifft ein Hauch von süßen Wohlgerüchen Mit weichem Flügelschlag des Kaisers Antlitz, Und voller Unruh fühlt er nur noch dies: "Mein schönes Weib schickt mir mit ihrem Fächer Die Düfte ihrer Lippen, die ich liebe..." Und er erhebt sich, schimmernd von Geschmeid – Und richtet seine Schritte der Behausung Der Gattin zu ... Die Mandarinen starren Einander an, verwundert, aber still.–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1907. p. 45f. –
in: Oehlke, Waldemar. Chinesische Lyrik und Sprichwörter. Bremen-Horn: Walter Dorn-Verlag, 1952. p. 65f. –
in: Braun, Felix. Die Lyra des Orpheus. Lyrik der Völker in deutscher Nachdichtung. Wien: Paul Zsolnay Verlag, 1952. p. 38f. -
Not determined 未定: Klage einer schönen Frau (Du Fu 杜甫)
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In Einsamkeit, in fernem, ödem Tale Saß eine Frau von solcher Schönheit Zauber, Wie ihn das Schicksal selten nur verleiht. Sie sprach: Ich bin aus vornehm-altem Hause, Doch sank das Unglück schwer auf mich hernieder, In wilder Gegend such ich ein Asyl. Furchtbares Unheil hat mein Vaterland Verwüstet; meine Brüder sind ermordet, Sie strahlten herrlich in der Jugend Glanz. Nicht einmal ihre Leichen hat man mir Gegeben, daß ich sie bestatten könnte, – Von Haß und Roheit wird die Zeit beherrscht. Unsicher ist das Dasein wie die Flamme Der Fackeln in dem Winde. Mein Gemahl Hat mich verlassen im Gewirr der Zeit. In seinem Herzen ist nicht Kraft noch Größe, Sein einziges Verlangen ist: ein andres, Lachendes Weib an seine Brust zu ziehn. Vor seinen Augen gaukelt schon der Liebreiz Der Andern. Daß er einmal nur die Seufzer Der Frau vernähme, die er von sich stieß ! Ich schickte meine Mägde in die Ferne, Die Perlen meines Schmuckes zu verkaufen, In meinem Zelt aus Schilf blieb ich zurück. Das Zelt ist schlecht. Ich will die Kletterpflanzen Die schlechten Stellen auszubessern bitten, Kühl weht die Luft, und mein Gewand ist leicht. Die Mägde bringen Blumen, – fort damit ! Das ist kein Schmuck für mich. Zypressenzweige Tun mir als Zeichen meiner Trauer not. Die Sonne sinkt. Ich will mir eine Stelle Unter den großen Bambusbüschen suchen Als Ruhplatz für die kalte, öde Nacht.–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 44f. -
Not determined 未定: Das verbrannte Haus (Du Fu 杜甫)
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Das sehr geliebte Haus, in dem ich einst Geboren wurde, ist ein Raub der Flammen Geworden. Grauer Schutt liegt, wo es stand. Da stieg ich müd in einen goldnen Kahn Und hoffte meinen Kummer zu besiegen, Wenn ich hinausfuhr in die bunte Welt. Auf meiner schön geschnitzten Flöte hab Ein Lied ich zu dem Mond hinaufgesungen, Ein Lied voll Sehnsucht durch die laue Nacht. O weh, der Mond war traurig, da er so Mein Lied vernahm. Mit einer großen Wolke Hat er sein greises Angesicht verhüllt. Da ging ich zu den Bergen hin. Auch sie Besaßen keinen Trost für meine Wunden, Es war umsonst, daß ich zu ihnen sprach. Da fühlte ich, daß alle meine Lust Und meiner Kindheit Wunder in der Asche Begraben lagen, wo mein Haus einst stand. Ich wünschte mir den Tod. Schon stand ich bleich Am Meer und beugte weit mich übers Ufer – Da fuhr ein weißer Kahn an mir vorbei... Erst glaubte ich, es sei der Mond, der sich im Wasser spiegelt. Aber nein, es war Ein weißes Schiff – gelenkt von einer Frau. O du! O du! Daß dich mein Auge sah In dieser bängsten Stunde meines Schmerzes! Jetzt weiß ich wohl, wo mir Genesung winkt. Jetzt habe ich ein Ziel: Dich zu erobern, Du meine Retterin! In deinem Herzen Will ich mein Haus von neuem auferbaun!–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1907. p. 43f. -
Not determined 未定: Die ewigen Lettern (Li Bai 李白)
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Indem ich Verse bilde, sehe ich Von meinem stillen Fenster aus dem Schwanken Der Bambussträucher in dem Winde zu. Wie aufgeregtes Wasser scheinen sie, Und das Geraschel in den Blättern klingt Fast wie das Rauschen hüpfender Kaskaden. Ich werfe meine Lettern aufs Papier, Sie sehen aus, als seien Pflaumenblüten Wirr durcheinander in den Schnee gestürzt. Der frische Duft der Mandarinenfrüchte Vergeht, wenn eine Frau sie allzu lange In ihres Kleides dunkeln Falten trägt. Der Reif erlischt, wenn ihn die Sonne anscheint, – Nur meine Lettern, die ich niederschreibe, Sind ewig, ewig! – Dieses weiß ICH, Li-Tai-Po.–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1907. p. 39. –
in: Braun, Felix. Die Lyra des Orpheus. Lyrik der Völker in deutscher Nachdichtung. Wien: Paul Zsolnay Verlag, 1952. p. 33f. -
Not determined 未定: Der Fischer im Frühling (Li Bai 李白)
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Der Schnee wird aufgesogen von der Erde, Schon sind die Pflaumenbäume weiß von Blüten, Die Weiden stehn in goldigem Gewand. Wie flüssiges Silber dehnen sich die Teiche, Die Schmetterlinge mit den duftigen Flügeln Ruhn auf den Blumen aus und trinken Tau. Der Fischer auf dem Kahn im stillen Wasser Wirft fröhlich sein gestricktes Netz hinaus, Das jäh zerbricht des Wassers Silberspiegel. Er denkt an sie, an deren Seite er Geruht wie eine Schwalbe in dem Neste Zur Seite des geliebten Weibchens schläft. Er denkt an sie und hofft auf seine Netze, Um Nahrung heimzubringen der Geliebten, So wie der Vogel seinem Weibchen tut.–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1907. p. 37. -
Not determined 未定: Der Pavillon aus Porzellan (Li Bai 李白)
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Mitten in dem kleinen Teiche Steht ein Pavillon aus grünem Und aus weißem Porzellan. Wie der Rücken eines Tigers Wölbt die Brücke sich aus Jade Zu dem Pavillon hinüber. In dem Häuschen sitzen Freunde, Schön gekleidet, trinken, plaudern, – Manche schreiben Verse nieder. Ihre seidnen Ärmel gleiten Rückwärts, ihre seidnen Mützen Hocken lustig tief im Nacken. Auf des kleinen Teiches stiller Oberfläche zeigt sich alles Wunderlich im Spiegelbilde: Wie ein Halbmond scheint der Brücke Umgekehrter Bogen. Freunde, Schön gekleidet, trinken, plaudern, Alle auf dem Kopfe stehend, In dem Pavillon aus grünem Und aus weißem Porzellan.–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1907. p. 23f. -
Not determined 未定: Die rote Rose (Li Bai 李白)
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Am Fenster saß ich trauernd, stumm geneigt Über ein seidenes Kissen, das ich stickte. Da stach ich mich – und rotes Blut rann auf Die weiße, weiße Rose, die ich stickte, Und eine rote Rose ward daraus. Wie dacht ich da an dich, der ferne ist Im Kriege! Und ich dachte, wie auch du Dein Blut vergießt – und heiße Tränen stürzten Mir aus den Augen, und ich weinte lange. Hei, jetzt vernahm ich Hufschlag eines Pferdes! Ich sprang empor! Er ist's! Da fühlt ich, weh, Daß es mein Herz war, was so heftig schlug. Und wieder saß ich, stickte trauernd weiter Und stickte Tränen in das seidene Kissen, Die schimmerten wie wundervolle Perlen Rings um die rote, rote Rose her.–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1907. p. 30. –
in: Strasser, Charlot. Das Drachenpferd. Chinesische Dichtungen, Betrachtungen darüber. Zürich, New York: Verlag Oprecht, 1942. p. 41. -
Not determined 未定: Der Landmann im Winter (Su Shi 蘇軾)
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Nun ist der Winter da. Wie eine Wolke Von weißen Schmetterlingen sank der Schnee Ganz lautlos auf die harte, kühle Erde. Des Landmanns Blick ist trübe und verloren, Still schließt er die Geräte in sein Haus, Sein Herz ist voll von namenloser Trauer. Die Erde, seine Freundin, ist nun tot. Da er im Frühjahr ihr die Saat vertraute, Gab er ihr alle seine Sehnsucht mit. Als dann die Ernte aufwuchs, fand er selig All seine Sehnsucht in Erfüllung wieder, Er jubelte und sang und war beglückt. Doch nun ist alles aus. Wie eine Wolke Von weißen Schmetterlingen sank der Schnee Ganz lautlos auf die harte, kühle Erde...–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1920. p. 68. –
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1923. p. 68. –
in: Färber, Fritz. Damit uns Erde zur Heimat wird. Eine Gedichtsammlung. München: Bayerischer Schulbuch-Verlag, 1959. p. 164. -
Not determined 未定: Schiff im Sturm (Su Shi 蘇軾)
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Man hat die großen Segel eingezogen, Sie hängen dick und schwer am Mast hernieder, Der Sturm spielt ein gewaltiges Flötenlied. Das Meer schäumt auf. Von allen Seiten toben Die Wellen an das Schiff. Es scheint zu schwanken Auf einem großen, weißen Blütenmeer. Der Anker an der Eisenkette rasselt Ins Wasser, krallt sich unten an die Felsen Und kämpft mit Wind und Wogen wie ein Held. Es scheint, das Meer will auf die Berge steigen, Um mit dem Himmel sich zu einen! Manchmal Scheint Meer und Himmel wahrhaftig eins zu sein. In den Kajüten liegen die Matrosen, Die sturmgewohnten, ruhig, ohne Bangen, Sie schlafen friedlich, bis die Abfahrt naht.–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 87. -
Not determined 未定: Der Dichter auf dem nebligen Gebirg (Su Shi 蘇軾)
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Der Dichter schreitet langsam das Gebirg empor; Die Felsen in der Ferne, wo der Nebel braut, Erscheinen ihm wie Schafe, die entschlummert sind. Nun steht er auf dem Gipfel. Stöhnend ruht er sich Auf einem Felsblock. Er ist sehr ermüdet, da Er vor dem Aufstieg viel des goldnen Weins genoß. Die Wolken schwanken über seinem Haupt dahin, Er schaut, wie sie sich ballen, trüben Sinnes zu: Bald ist der schöne blaue Himmel ganz bedeckt. Da hebt er an zu singen mit umflortem Klang, Daß nun der Herbst naht und die kalte Nebelluft Und daß der Frühling unerreichbar ferne sei. Und Wandrer kommen, der Natur sich zu erfreun, Und sehn ihn und umringen ihn und lachen laut: Seht, der da ist ein Dichter! Er ist wirr im Kopf.–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1923. p. 69. –
in: Oehlke, Waldemar. Chinesische Lyrik und Sprichwörter. Bremen-Horn: Walter Dorn-Verlag, 1952. p. 84. -
Not determined 未定: Der Gatte rüstet sich zum Kampf (Du Fu 杜甫)
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Auf, du mein Weib, steck deine lange Nadel In deiner Arbeit purpurrote Seide Und schleppe meine Waffen mir herbei! Du selber kreuze über meinen Hüften Die beiden langen Schwerter, daß die Griffe Aufragen über meine Schultern, groß und schwer. Da ich mit Stolz an meine Lanze lehne, Die lachend, mit der Spitze von Metall, Den Feinden fürchterliche Wunden schlägt, Seh ich bewegten Sinns dich vor mir knien! Jetzt häng an meinen Gurt den schlanken Bogen, Bald sollen tausend Pfeile ihm entschwirren Und sollen in der Luft die schönste Bahn Beschreiben, um sich zischend einzubohren In der Besiegten blutzerfetztes Fleisch. Jetzt aber zittre! – Zittre und entflieh! Dies ist der fürchterliche Blick, mit dem ich Im Kampfe meinem Feind begegnen werde!–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1907. p. 14. -
Not determined 未定: Die drei Frauen des Mandarinen (Cao Ye 曹鄴)
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Die angetraute Gattin: Der Wein lacht aus dem Becher, Schwalbennester Prangen verlockend in den Schüsseln. Immer Haben die Mandarinen ihre Frauen, Die ihnen angetraut sind, hoch geehrt. Das Kebsweib: Der Wein lacht aus dem Becher, eine Gans Prangt duftend in der Schüssel. Wenn die Gattin Des Mandarinen ohne Kinder bleibt, So nimmt er sich ein Kebsweib – und mit Recht. Die Dienerin: Der Wein lacht aus dem Becher, Süßigkeiten Sind in den Schüsseln. Ob der Mandarin Ein Weib hat oder Kebsweib, das ist gleich: Er liebt die Abwechslung, – und die bin ich! Der Mandarin: Der Wein ist ausgetrunken. In den Schüsseln Sind nur noch schäbige Reste. Vorwärts, vorwärts, Schwatzhafte Frauen! Hütet Eure Zunge! Ich bin ein Mandarin: Respekt vor mir!–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 15. -
Not determined 未定: Ein junger Dichter denkt an die Geliebte (Cao Ye 曹鄴)
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Der Mond steigt aufwärts, ein verliebter Träumer, Um auszuruhen in dem Blau der Nacht. Ein feiner Windhauch küsst den blanken Spiegel Des Teiches, der melodisch sich bewegt. O holder Klang, wenn sich zwei Dinge einen, Die um sich zu vereinen sind geschaffen. Ach, was sich zu vereinen ist geschaffen, Vereint sich selten auf der dunkeln Erde!–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1920. p. 16. –
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1923. p. 16. -
Not determined 未定: Der Student (Chu Guangxi 儲光羲)
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Wenn bei der Sonne Untergang das letzte goldne Licht Vom Fenster des Studenten weicht, indes der Wind Des Herbstes rüttelnd um die Bambusstämme fährt, So wandert der Student mit abgeklärtem Sinn Zu einem hellern Fenster, immer in Gedanken Verloren und das Buch des Studiums in der Hand. Er denkt des Altertums, indem er Moos und Gräser Betrachtet, lauschend horcht er in des Abends Klang Und sinnt und überlegt und freut sich seiner Einsamkeit Und Ruhe. Wollt Ihr wissen, was er tut, Um etwas zu erlangen für das Lebens Unterhalt? Er wandelt in die abgelegnen Täler. Dort Gedeiht halbwilde Gerste, diese erntet er: Sie dient als schlichte Nahrung dem Genügsamen.–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 20. -
Qiu si "Yan zhi huang ye luo" 秋思 “燕支黃葉落”: Die Frau des Kriegers spricht im Herbst (Li Bai 李白)
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Die Zeit ist da, wo man die gelben Blätter Durchs Bergland tanzen sieht. Ich steige auf Den Söller, wo der Blick ins Weite geht. Ich sehe überm Meere lange, graue, Zerrißne Wolken liegen. Überall Dringt Herbst auf mein ermüdet Auge ein. Die Horde der Tartaren weichen nicht Von unsern Grenzen. Käme doch der Tag, Der mir den Gatten in die Heimat bringt! Der Duft der Blumen schwindet; auch die letzten Verlieren ihre Blätter. Ach, die Hoffnung Auf Frieden ist ein ferner, süßer Traum ...–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 21. -
Qiu xing ba shou (1) "Yu lu diao shang feng shu lin" 秋興八首(其一)“玉露凋傷楓樹林”: Herbst in der Fremde (Du Fu 杜甫)
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Der Reif des Herbstes, der wie Jade schimmert, Liegt auf den zarten Zweigen der Platanen, Die ragen bleich und welk in dünner Luft. Durch das Gebirge, durch die Felsenschluchten Jagt kalter Wind; er fängt sich in den Bäumen, Und seine Seufzer irren durch das Laub. Am Horizont seh ich den breiten Strom, Er trägt auf seinen schnell bewegten Wogen Das Bild des Himmels blau und märchenhaft. Der Wind reißt von den Gipfeln die Gebilde Der Wolken nieder, fein wie Wattetupfen, Und mischt sie mit dem grauen Dunst der Welt. Ich bin in der Verbannung. Zweimal schon Sah ich durch meine sehnsuchtsvollen Tränen Die üppige Pracht der Chrysanthemen blühn. Ich bin wie eine Barke, die am Ufer Durch Eisenketten festgehalten wird, – Die ferne Heimat kann ich nicht erreichen. Die Leute sind geschäftig bei der Arbeit, Sich Kleider für den Winter herzustellen, Bald sind die rauhen, kalten Tage da. Die Sonne geht. Ich höre von den Hügeln Den Schlag der Drescher auf die harten Tennen, – Ein Lied, das mir das Herz noch ganz zerreißt!–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 59f. -
Qiu xing ba shou (2) "Kui fu gu cheng luo ri xie" 秋興八首(其二)“夔府孤城落日斜”: Der Verbannte (Du Fu 杜甫)
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Oft stand ich einsam auf dem Festungsturme Des kahlen Berges. Dort, den Wolken nahe, Stand ich und sah die rote Sonne gehen. Und wenn die Sterne kamen, suchte ich An ihren Bildern mir die Richtung, wo Die schöne, ferne, bunte Hauptstadt lag. Da lugt ich sehnend aus, indeß sich Herz Und Ohr entsetzten beim Geschrei der Affen, Und niemals, wußt ich, kehrte ich nach Haus... Einst war ich der geliebte Freund der Götter! In Glanz und Schönheit strahlte meine Wohnung, Und wo ich ging, lang Weihrauch in der Luft. Einst schlief ich nachts auf seidenen Geflechten, – Jetzt steh ich schlaflos hinter Festungszinnen, Der schrille Pfiff der Wachen quält mein Ohr. Ich blicke wie im Traum auf die Sträucher Der Felsenwand, darauf der Vollmond flimmert – Das ganze Leben seh ich wie im Traum. Tief unten dämmern in dem halben Lichte Der Nacht die Inseln. Blasses Schilf des Herbstes Umblüht sie. Es ist Herbst, o meine Seele!–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1907. p. 40f. -
Qiu xing ba shou (3) "Qian jia shan guo jing zhao hui" 秋興八首(其三)“千家山郭靜朝暉”: Klage (Du Fu 杜甫)
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Kaum tausend Herde zählt der Flecken, wo Ich in Verbannung lebe. Festungsmauern Umgeben ihn auf düstern Bergeshöhn. Den Fluß entlang stehn kleine, arme Hütten Auf Hügeln, grauer Dunst ist um sie her, Ich lasse hier und dort mich rastend hin. Die Fischerbarken ziehn den Fluß zu Tale, Die Schwalben sammeln sich in dichten Scharen, Um in den warmen Süden fortzuziehn. Ich habe meine Pflicht getan, als ich Beim Kaiser noch in Gunst stand. Andre wurden Berühmt und groß. Warum verstieß man mich? Mit Wehmut denke ich an die Genossen Der Studienzeit; ach, sie sind weit von hier, Und Ehren sind und Reichtum um sie her. Um diese Stunde, da ich einsam klage, Sind sie gewiß zu Pferde, schön gekleidet, Und reiten durch die Hauptstadt, froh und leicht ...–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 64. -
Qiu xing ba shou (6) "Qu tang xia kou qu jiang tou" 秋興八首(其六)“瞿塘峽口曲江頭”: Herbst (Du Fu 杜甫)
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In der Verbannung düstrer Einsamkeit Laß ich nicht ab, mit sehnsuchtsvollen Augen Den Krümmungen des Flusses nachzuschaun. Auf hunderte von Meilen kann ich sehn, Wie sich der Ostwind in die Wolken legt Und sie vereinigt mit dem Dunst des Herbstes. Der gleiche Dunst weht jetzt um jene Blumen, Die ferne, ferne am Palast des Kaisers Süß duftend bei des Herrschers Fenstern stehn. Wie endlos fern die Vorhänge aus Perlen, Gleich Jade glänzend, und die edeln Säulen, Die Gärten, wo die gelben Störche gehn. Und dann die Dschunke mit dem schlanken Maste Aus Elfenbein und mit den seidnen Segeln, Umgaukelt von der Möwen weißer Schar. O wilde Qual, das Haupt in jene Richtung Zu wenden, wo die liebe Hauptstadt schimmert Mit Sang und Tanz und allem Glück der Welt!–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 65. -
Qiu xing ba shou (8) "Kun wu yu su zi wei yi" 秋興八首(其八)“昆吾御宿自逶迤”: Schmerzliche Erinnerung (Du Fu 杜甫)
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Wie oft seh ich in schmerzlicher Erinnrung Den kapriziös geformten Pavillon Aufragen, drin so gern der Kaiser schlief. Er stand im dunklen Bergland von Tsi-Ko, Das sich mit seinen Gipfeln malerisch Im großen, blauen Flüssen widerspiegelt. Am Ufer ward auf ungeheuern Feldern Duftender Reis geerntet. Papageien Schwärmten herbei und pickten Körner auf. Reizende junge Frauen gingen in Den kaiserlichen Gärten auf und nieder, Das Grün des Frühlings lachte um sie her. Berühmt, unsterblich waren die Genossen, Mit denen ich an weichen Abenden Gemächlich auf den klaren Seen fuhr. Was für glückselige Gedichte hab ich Damals mit leichtem Pinsel hingeschrieben In tausend Formen, die ich neu erfand. Und heute? Meine Haare sind geblichen, Die alte Stirne senk ich müd zur Erde, Und was ich sing, ist Jammer nur und Gram!–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 61f. -
Ru ruo ye xi 入若耶溪: Auf dem Flusse Jo-Yeh (Cui Hao 崔顥)
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Wie hurtig unsre leichte Barke schwebt! Wir steuern durch das wunderschöne Land Des weißen Dunstes und der grünen Wälder. Von Schwärmen bunter Vögel sind wir ganz Umgeben; hochgetürmte Wolken treiben Phantastisch über unsern Häuptern fort. Das Bild der schroffen Berge liegt so klar Auf dem Gewässer hingemalt. Es folgt Mit leisem Zittern unsrer Barke nach. Bald klingt ein Echo aus den Felsengründen, Bald kommt ein stilles, abgeschiednes Tal, Das wir mit einem Liede freundlich grüßen. Dies Land ist wahrlich angetan, die Liebe Zur Einsamkeit den Menschen einzupflanzen, Ja, hier ist Alles Einsamkeit und Ruh. Wir wollen halten! Männer an den Riemen, Laßt eure Hände ruhn, daß wir uns laben An dieser Landschaft märchenhaftem Bild.–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 76. -
Sai xia qu (5) "Sai lu cheng qiu xia" 塞下曲(其五)“塞虜乘秋下”: Auszug der Krieger (Li Bai 李白)
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Der Herbst ist da, die Zeit, wo unsre Feinde Von ihren rauhen Bergen niedersteigen, Um zu verheeren unser blühend Land. Jetzt wollen wir im blanken Kriegerkleide Die Mauer an der Grenze überschreiten, Um uns zu stellen dem verhaßten Feind. Befehl zum Aufbruch wurde schon gegeben, Der General ist schon zu Pferd gestiegen, Jetzt geht es bis zur Wüste Gobi fort! O Einsamkeit! Der Halbmond, der wie Silber Durch Wolken wandert, ist das einzig Schöne, Was man in diesem wüsten Land gewahrt. Der Tau liegt gleich Kristallen auf dem Eisen, Dem blitzenden, der Säbel und Kürasse, Der Tag der Heimkehr ist unendlich fern. Ihr lieben jungen Frauen in der Heimat, Laßt euer Seufzen sein, es ist nicht nütze, – Ist diese Zeit auch sorgenvoll und dunkel: Einst kommt der Tag, an dem ihr uns umfaht!–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 24. -
Shao nian xing er shou (2) "Wu ling nian shao jin shi dong" 少年行二首(其二)“五陵年少金市東”: Jugend (Li Bai 李白)
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Ein sorgenloser Jüngling, der am Wege Der kaiserlichen Grabdenkmäler wohnt, Verläßt auf weißem Hengste stolz sein Haus. Er bringt das Tier, an dessen Sattelzeug Geputztes Silber funkelt, in Galopp Und reitet froh durch weichen Frühlingswind. Unter des Schimmels Hufen wirbeln Wolken Von Blütenblättern auf. Ein hoher Teppich Von bunten Blüten füllt den ganzen Weg. Nun reitet er im Schritt. Er weiß nicht recht, Wo er verweilen soll. Er blickt umher, – In seinem Aug ist Unentschlossenheit. Da dringt das leichte Lachen einer Frau Aus einem Blütenbusch. Er stutzt, er hält. Nun weiß er gleich, wo er verweilen soll!–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 23. -
Song bie "Xia ma yin jun jiu" 送別 “下馬飲君酒”: Der Abschied des Freundes (Wang Wei 王維)
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Ich stieg vom Pferd und reichte ihm den Trunk Des Abschieds dar. Ich fragte ihn, wohin Und auch warum er reisen wolle. Er Sprach mit umflorter Stimme: Du mein Freund, Mir war das Glück in dieser Welt nicht hold. Wohin ich geh? Ich wandre in die Berge, Ich suche Ruhe für mein einsam Herz. Ich werde nie mehr in die Ferne schweifen, – Müd ist mein Fuss, und müd ist meine Seele, – Die Erde ist die gleiche überall, Und ewig, ewig sind die weissen Wolken...–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1907. p. 19. –
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1920. p. 19. –
in: Jaspert, Reinhard (ed.). Lyrik der Welt. Ausland. Berlin: Safari-Verlag, 1948. –
in: Braun, Felix. Die Lyra des Orpheus. Lyrik der Völker in deutscher Nachdichtung. Wien: Paul Zsolnay Verlag, 1952. p. 32. –
in: Jaspert, Reinhard. Lyrik der Welt. Dichtungen des Auslands. Berlin: Safari-Verlag Carl Boldt, 1955. p. 112. -
Song you ren "Qing shan heng bei guo" 送友人 “青山橫北郭”: Abschied vom Freunde (Li Bai 李白)
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Auf rauhen Pfaden durch das grüne Bergland Gab ich dem Freunde das Geleit zum Norden Hinauf, wo sich die große Mauer dehnt. Dort schäumt ein Wasser und verliert sich silbern Nach Osten hin. An jener Stelle war es, Wo wir uns trennten mit bewegten Herzen. Ich wandte mich und kehrte einsam wieder Den Weg zurück; er kam mir endlos vor; Der Himmel war bewölkt gleich meinem Sinn. Bald schied die Sonne hinter dem Gebirge, – Da fühlt ich tiefer noch und schmerzensreicher Die Trennung von dem vielgeliebten Freund. Auf dem Gestrüpp der Heide hob ich dann Noch einmal meine Hand, das letzte Mal, In jene Richtung, wo er mir entschwand. Mit einem langen Wiehern rief mein Pferd Nach meines Freundes Pferd ... Ein kleiner Vogel Im Laubwerk nur gab seiner Sehnsucht Antwort.–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 38. -
Song zhong shi shou (1) "Liang wang xi quan sheng" 宋中十首(其一) "梁王昔全盛": Die letzten Trümmer (Gao Shi 高適)
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Einst war ein edler König von Li-Ang. Er war voll Macht und Herrlichkeit; geöffnet War sein Palast für Gäste immerdar. An seinem Hofe lebten große Dichter In heimatlichem Glück. Seit jenen Zeiten Sind über tausend Jahre schon entflohn. Der alte trümmerhafte Turm, der dort Zum Himmel ragt, ist heut der einzige Zeuge Von soviel Größe, soviel Herrlichkeit. Trostlose Einsamkeit herrscht in den Mauern; Unkraut wächst auf dem Boden; dunkles Seufzen Der Traurigkeit umdämmert müd den Ort.–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 72. -
Su ye shi shan fang dai ding da bu zhi 宿業師山房待丁大不至: In Erwartung des Freundes (Meng Haoran 孟浩然)
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Die Sonne scheidet hinter dem Gebirg, In aller Täler steigt der Abend nieder Mit seinen Schatten, die voll Kühlung sind. O sieh, wie eine Silberbarke schwebt Der Mond herauf hinter den dunklen Fichten, Ich spüre eines feinen Windes Wehn. Der Bach singt voller Wohllaut durch das Dunkel Von Ruh und Schlaf ... Die arbeitsamen Menschen Gehn heimwärts, voller Sehnsucht nach dem Schlaf. Die Vögel hocken müde in den Zweigen, Die Welt schläft ein ... Ich stehe hier und harre Des Freundes, der zu kommen mir versprach. Ich sehne mich, o Freund, an deiner Seite Die Schöhnheit dieses Abends zu genießen, – Wo bist du nur? Du läßt mich lang allein! Ich wandle auf und nieder mit der Laute Auf Wegen, die von weichem Grase schwellen, – O kämst du, kämst du, ungetreuer Freund!–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1923. p. 18. –
in: Oehlke, Waldemar. Chinesische Lyrik und Sprichwörter. Bremen-Horn: Walter Dorn-Verlag, 1952. p. 73f.
Translation quoted from "Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik (Leipzig 1923) p. 18. -
Su ye shi shan fang dai ding da bu zhi 宿業師山房待丁大不至: In Erwartung des Freundes (Meng Haoran 孟浩然)
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Die Sonne scheidet hinter dem Gebirge, In aller Täler steigt der Abend nieder Mit seinen Schatten, die voll Kühlung sind. O sieh, wie eine Silberbarke schwebt Der Mond herauf hinter den dunkeln Fichten, Ich spüre eines feinen Windes Wehn. Der Bach singt voller Wohllaut durch das Dunkel Von Ruh und Schlaf ... Die arbeitsamen Menschen Gehn heimwärts, voller Sehnsucht nach dem Schlaf. Die Vögel hocken müde in den Zweigen, Die Welt schläft ein ... Ich stehe hier und harre Des Freundes, der zu kommen mir versprach. Ich sehne mich, o Freund, an deiner Seite Die Schönheit dieses Abends zu genießen, - Wo bleibst du nur? Du läßt mich lang allein! Ich wandle auf und nieder mit der Laute Auf Wegen, die von weichem Grase schwellen, - O kämst du, kämst du, ungetreuer Freund!–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1907. p. 18.
Although this translation is also printed in later editions of the linked source, it was listed separately here due to slight differences in wording. -
Tian jia za xing ba shou (8) "Zhong sang bai yu shu" 田家雜興八首(其八)“種桑百餘樹”: In reichem Hause (Chu Guangxi 儲光羲)
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Die Reichen, welche Überfluß an Korn Und Wein und Früchten haben, geben gern Ein Festgelage ihrem Freundeskreis. Der Sommer kommt, man bringt den Reis herein; Der Herbst kommt, und man pflückt die Chrysanthemen Und leiht dem Wein ihr köstliches Arom. Man lädt sich Freunde ein. Die Ahnin sitzt Bei Tisch zu Oberst, und die Jugend müht sich, Sie durch Respekt und Ehren zu erfreun. Bei Sonnenuntergang ruht man im Garten, Wo er schon wild wird: Ulmen ragen dort Und Weiden, die in dichten Büschen stehn. Man singt und zecht, bis daß man trunken ist, – Dann wankt man heiter durch die Nacht nach Hause, Ein frischer Wind erquickt, nach heißem Tag. Der Herr des Festes wandelt noch allein Im Garten auf und ab, sich zu erholen, Sein Aug ruht auf der Sterne Glanz. Er sagt sich: viele wundervolle Weine Ruhn noch in meinem Keller, – morgen darf ich Sorglos und lachend trinken, so wie heut!–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 80f. -
Wu qi qu 烏棲曲: Die schöne Tänzerin (Li Bai 李白)
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Zur Stunde, wann die Raben auf den Türmen Sich niederlassen, tanzt im königlichen Palast die schöne Si-Schy, feenhaft. Sie tanzt die lockendsten und kühnsten Tänze, Sie singt die anmutvollsten Liebeslieder, Sie hat das Herz des Herrschers ganz umstrickt. Hinter den grünen Hügeln ist die Sonne Zu Tal gesunken, – aber Si-Schys Tänze Gehn weiter, ihre Lust ermüdet nie. Sie tanzt die Nacht hindurch. Die Nacht entschwindet, Der Mond des Herbstes neigt sich in das Wasser Des Großen Teiches, Si-Schy lacht und tanzt. Im Osten wird der Himmel hell; schon dämmert Die Morgenröte; im Palast des Herrschers Ist Trunkenheit und Lachen, – Si-Schy tanzt ...–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 33. -
Wu ye ti "Huang yun cheng bian wu yu qi" 烏夜啼“黃雲城邊烏欲棲”: Die sehnsuchtsvolle Gattin (Li Bai 李白)
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Im drischen Wind des Abends tönt der Sang Der kleinen Vögel aus den Blütenzweigen, – Sie singen selig, sie sind froh vereint. Hinter dem Gitter ihres Fensters sitzt Ein junges Weib. Sie stickt auf seidnem Stoffe Die schönsten Blumen für den fernen Gatten. Sie hebt das Haupt und läßt die Arme sinken, Ihr Denken ist bei ihm, der nun so lange Schon fern ist, und sie flüstert vor sich hin: "Die Vögel finden sich im Laubwerk wieder, – Die Tränen eines jungen Weibes aber, Sie rufen den Geliebten nicht zurück!" Sie hebt die müden Arme aus dem Schoß Und beugt das Haupt auf ihre Arbeit nieder, Und wieder flüstert sie, mit feuchtem Aug: "Nun will ich kleine Liebesverse zwischen Die Blumen sticken, – ach, vielleicht, daß sie Ihn mahnen, daß er heimkehrt an mein Herz!"–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 29. -
Xi ti hua shan shui tu ge 戲題畫山水圖歌: Auf ein Bild des Malers Wang Tsai (Du Fu 杜甫)
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Zehn Tage waren nötig, daß die Hände Des Künstlers das Gebirge bildeten; Fünf Tage hat er für den Felsen dort Gebraucht. Der wahre Künstler liebt es nicht, Daß man ihn drängt. Es kommt ihm auf die Zeit Nicht an, – wenn er nur künstlerisch vollendet Das Werk aus seiner Hand entlassen darf! Welch wundervolle Ansicht des Gebirges! Dies Bild gehört in einen schönen Saal, Als einziges Schmuckstück einer weiten Wand. Dort liegt die Stadt, dort breitet sich ein See, Dort seine Wasser in das Meer ergießt; Die Fluten leuchten silbern in der Ferne Und mischen mit der Purpurlinie sich Des Horizontes; Wolken überfliegen Den Raum, – gewaltigen Drachen gleichen sie. Dort fährt ein Mann in einem Kahn; es ist Ein Fischer, der in jene Bucht verlangt. Schäumt auf, und wilder Wind rast durch die Luft. Die Arbeit ist ein Meisterwerk. So wurde der Blick ins Weite jemals so beherrscht? Dem Künstler hat ein Stück Papier genügt, Um tausend Meilen Landes abzubilden. Wie gerne schnitt ich mir mit einer Schere Das schöne Reich des Königs U heraus Und steckt es in die Tasche, samt der Hälfte Des Großen Flusses, der im Abend blinkt!–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 46f. -
Xia ri nan ting huai xin da 夏日南亭懷辛大: Mondnacht. Aus der Sammlung Thang-Schi-Yie-Tsai (Meng Haoran 孟浩然)
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Hinter der schroffen Felsenklippe sinkt Das goldene Gestirn des Tags zur Ruh, Aus feuchtem Tale steigt der Mond herauf. Ich schlage meines Wagens Dach zurück, Mit unbedecktem Haupte lenke ich Mein weißes Pferd durch schöne, kühle Nacht. O Welt um mich herum ! Ein feiner Wind Bringt mir den Duft von unbekannten Blumen, Der Tau liegt perlend auf dem Wiesengras. Du meine Laute, hätt ich jetzt dich hier ! Wie wollte ich dich rühren, um den Stimmen Der Nacht zu künden, daß ich sie versteh. Mein Herz ist voll von unbestimmter Sehnsucht, Wie wär ich selig, wenn ich singen dürfte, – O meine Laute, hätt ich jetzt dich hier !–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1907. p. 64. -
Xia zhong nan shan guo hu si shan ren su zhi jiu 下終南山過斛斯山人宿置酒: Nächtliche Einkehr (Li Bai 李白)
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Der Abend brach herein. Wir steigen von Dem bläulich dämmernden Gebirg zu Tal, Der Mond scheint uns zu folgen von den Höhn. Blick ich zurück, die Strecke zu betrachten, Die wir durcheilten, so verliert mein Auge Sich in dem geisterhaften Dunst der Nacht. Mein Freund und ich gehn Hand in Hand. So nahen Wir einer Schenke, wo ein Jüngling uns Das Gatter öffnet, aus Gezweig gemacht. Wir treten ein auf einem engen Pfade, Geheimnisvoll umbuscht von Bambuszweigen, Seltsame Gräser streifen unser Kleid. Ich bin entzückt, daß an so reizendem, Verstecktem Ort wir einsam zechen dürfen, – Wir trinken einen Wein von seltner Kraft. Nun singe ich mein Lied vom wilden Winde, Der durch die Fichten braust, – wir wollen zechen, O Freund, bis daß der letzte Stern verglüht! Mein Sinn entschwand, ich bin berauscht, – Du lachst. Weit hinter uns liegt alles Weh der Erde, Verklärte Wolken ziehn um unser Haupt ...–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 36f. -
Xin hun bie 新婚別: Die Neuvermählte klagt (Du Fu 杜甫)
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Ihr kennt das Wesen mancher Pflanzen, sich An andern Pflanzen aufzuranken; erst Durch solchen Halt wächst ihre eigne Kraft. Eh man ein Mädchen aufzieht, um es einem Soldaten zu vermählen, – eher sollte Man es als Kind aussetzen im Gebirg! Für unsre Brautnacht hab ich mir das Haar Geschmückt: es lohnte kaum, denn unser Lager War kaum erwarmt, da war die Lust schon aus. Bei Sonnenuntergang ward ich dein Weib; Bei Sonnenaufgang, als der erste Schimmer Der Frühe kam, eiltest du fort von mir. Du bist zwar nicht in Feindes Land gezogen, Doch auch die Wache an des Landes Grenzen, Die dir verliehn ward, trennt dich weit von mir. Du schwebst an jedem Tage zwischen Leben Und Tod. Ein quälendes Gefühl der Bangnis Schnürt mir die Brust ab, daß ich fast vergeh. Ich hatte mir gelobt, dir nachzufolgen, Doch hätte meine Gegenwart dir nur Unruh gebracht und Störung deines Tuns. Denk nicht zu oft an deine junge Gattin, – Zwing dich, daß du allein von den Gedanken Erfüllt wirst, die dem Krieger nötig sind. Wenn deine junge Gattin bei dir wäre Inmitten deiner Truppen, – ich befürchte, Dein kriegerischer Sinn wär bald erstickt. Ich armes Weib! Wie lange Zeit hab ich Darauf verwendet, mir ein köstliches Gewand zu weben aus der feinsten Seide! Dies köstliche Gewand wird meine Schultern Niemals bedecken. Auch verzicht ich gerne Auf Schmuck und auf der Schminke bunten Glanz. Wenn ich die Augen hebe, seh ich Vögel Zu Paaren fliegen, große so wie kleine, Sie segeln selig, immer zwei und zwei. Die Menschen haben andre Sitten als Die Vögel in der Luft. Der Himmel weiß es, Wann wir uns wiedersehn, geliebter Mann!–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 48f. -
Xing xing you qie lie pian 行行遊且獵篇: Der Kühne Jäger zu Pferde (Li Bai 李白)
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Der kühne Jäger, der im Grenzland wohnt, Nimmt nie ein Buch in seine Hand. Doch weiß er Auf Jagd zu reiten, mutig und voll Kraft! Sein Roß ist üppig, denn das Gras der Steppen Gibt wundervolle Nahrung; ungestüm Erbraust sein Hufschlag durch das Wilde Land. So hurtig geht die Jagd, daß kaum der Schatten Von Roß und Reiter folgen kann. Wie herrisch Und stolz das heiße Aug des Jägers blickt! In goldner Scheide er eine Peitsche; Schwingt er sie durch die Luft, so rührt die Spitze Der Leine an den frisch gefallnen Schnee. Der Wein, den er genießt, ist voller Feuer; Hat er getrunken, lockt er seinen Falken Und eilt mit ihm in Wald und Flur hinaus. Sein Bogen, von gewaltiger Kraft gespannt, Trifft nie ins Leere. Manchmal fallen gar Zwei Vögel, von dem gleichen Pfeil durchbohrt. Kommt er zur Küste, treten alle Männer Vor ihm beiseite; denn sein wildes Wesen Und seinen Ingrimm fürchtet alle Welt. Welch Gegensatz bei uns! Gelehrte Männer Hocken ihr Lebenlang in dumpfen Zimmern, Und ihre Haare bleichen über Büchern, Und draußen lacht die Welt, – sie spüren's nicht.–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 30f. -
Xuan zhou xie tiao lou jian bie jiao shu shu yun 宣州謝朓樓餞別校書叔雲: Herbstliche Stimmung (Li Bai 李白)
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Das Gestern flieht dahin, ich halt es nicht. Dem Heut, das auf meinem Herzen lastet, Entreiß ich nicht die Bitternis des Grams. Die Wandervögel nahen schon in Schwärmen, Der Herbstwind braust, ich steige auf den Söller Mit vollem Glas, und luge weit ins Land. Ich denke an die großen, edlen Dichter Vergangner Zeiten, lese ihre Verse, Die so erfüllt von Kraft und Anmut sind. Auch ich versprür in mir ein brausendes Empfinden, und es drängt mich mit Gewalt, Ausdruck zu geben meinem heiligen Feuer. Doch um den großen Geistern nahzukommen, Müßt ich mich bis zum Firmament erheben Und in dem Reich der Sterne heimisch sein. Läßt sich ein Wasserstrahl mit einem Schwerte In Stücke hauen? Kann man seinen Kummer Ertöten mit dem Becher in der Hand? Ein dunkler Abgrund klafft in diesem Dasein Zwischen der Sehnsucht, die uns süß beseligt, Und der Erfüllung, die Enttäuschung ist. Das Beste ist: man wirft sich in ein Boot Und bietet sich, mit sturmzerwühlten Haaren, Der wilden Macht der Elemente dar!–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 34f. -
Ye wang "Qing qiu wang bu ji" 野望 “清秋望不極”: Abendlicher Spaziergang (Du Fu 杜甫)
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Vom Osten kommend, hat die milde Sonne Des Herbstes nun die Wiesen überquert Und stirbt im Westen in den großen Bergen. Ein Schimmer bleibt am Firmament. Die Bäume Glühen oben rosarot. Der Wind des Abends Löst von den Zweigen still das letzte Blatt. Ein Storchenweib, einsam und voller Trauer, Fliegt zögernd seinem Neste zu, als hofft es Des toten Gatten Rückkehr zu erleben. Scharen von Raben heben ein Gekrächz Um die erloschnen Bäume an. Der Halbmond Steigt voller Schwermut in die kühle Nacht.–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 54. -
Ye wen ge zhe 夜聞歌者: Die Fremde (Bai Juyi 白居易)
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In einer Herbstnacht ankerten wir an der Insel Der Papageien. Silbern leuchtete der Mond Über dem Fluß, der rauschend durch das Dunkel zog. Da hörten wir in einem nahen Schiff Die Stimme eines Menschen, traurig wie der Tod. Sie schwebte hin und weinte, weinte, weinte, Wie wir es nie gehört, erlosch und schwieg. Wir suchten nach dem Sänger, und wir fanden ihn. Es war ein Weib. Aufschimmerte wie Schnee Die Jugend ihrer Wangen. An den Mast gelehnt, Hinreißend lieblich stand die Bleiche da, Und Tränen rannen ihr im Mondlicht von Den Wangen nieder, blinkend wie die Perlen, Und unablässig, immer Tränen, Tränen. Wir fragten sie, woher sie kam; warum Ihr Lied so traurig sei; warum sie weine. Wir fragten nochmals, und sie weinte wieder Und neigte das Gesicht auf ihre Brust Und sah uns nicht und sprach kein Wort zu uns – Und Tränen rannen ihr im Mondlicht von Den Wangen nieder, blinkend wie die Perlen...–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1907. p. 54. -
Ye yan zuo shi zhuang 夜宴左氏莊: Die Dichter (Du Fu 杜甫)
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Horcht, wie der Windhauch durch die Bäume flüstert! Der junge Mond ist schon zur Ruh gegangen, Die Luft ist frisch vom holden Tau des Abends, Nun stimmt die Saiten, – rein sei euer Lied! Die Bäche rinnen leise durch das Dunkel, Die Blumen küssend, die am Ufer blühen; Der Silberglanz der Sterne dehnt sich schweigend Zu unsern Häupten wie ein Baldachin. Die Dichter, wie berauscht, sehn in den Abend: Zu bunten Ketten fügen sich die Reime, – O daß die Fackeln nicht erlöschen mögen, Bevor die Verse prangen schwarz auf weiß! Gestützt auf ihre bereiten Schwerter, schreiben Die Dichter ihre Rhythmen stammelnd nieder; Die goldenen Becher leeren sich und werden Gefüllt bis in die tiefe Mitternacht. Dann endlich tönt das Abschiedslied. Ein jeder Singt, was er bildete, mit holdem Klang, – Drauf steigt man in die Kähne, rauscht von dannen, Und selig vor Erinnerung schlägt das Herz!–
in: Oehlke, Waldemar. Chinesische Lyrik und Sprichwörter. Bremen-Horn: Walter Dorn-Verlag, 1952. p. 64. –
in: Braun, Felix. Die Lyra des Orpheus. Lyrik der Völker in deutscher Nachdichtung. Wien: Paul Zsolnay Verlag, 1952. p. 39. -
Yin zhong ba xian ge 飲中八仙歌: An Li-Tai-Po (Du Fu 杜甫)
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Die Poesie ist deine Sprache, Li-Tai-Po, So wie das Lied der Vögel ewige Sprache ist. Im Sonnenlicht und in dem Schatten des Abends Fühlst du die Poesie. der Dinge und nur sie. Genießt du goldnen Wein, so fliegen auf der Wolke Der Trunkenheit dir himmlische Gedichte zu. Du größter aller Menschen! Wie die Sonne strahlt, So hüllst du uns in deines Geistes Strahlen ein. Nimm, Herrlicher, dies Stammeln der Verehrung hin Von Einem, der bewundernd tief im Dunkel steht!–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1907. p. 42.
Translation only covers Du Fu's verses on Li Bai (14-17). -
Yu hua gong 玉華宮: In den Ruinen eines alten Schlosses (Du Fu 杜甫)
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Der Bach enteilt mit Rauschen, grober Wind Jagt durch die Fichten. Ekle Ratten fliehen Vor meinem Schritt und bergen sich im Schutt. Wer weiß heut noch zu sagen, welcher Fürst Dies Schloß erbaute? Wo ist der geblieben, Der dieses Trümmerfeld uns hinterließ? Am Abend sieht man blaue Flämmchen schweben, Das sind die Geister der Verstorbnen. Seufzer Werden auf den zerstörten Straßen wach. Die mystischen Stimmen der Natur vereinen Sich gut mit diesen Trümmern. Auch das Schauspiel Des Herbstes paßt zu diesem öden Bild. Die schönen Töchter, die dem Fürsten blühten, Sind heute gelbe Erde, – so vergangen Wie ihrer Wangen trügerischer Glanz. Auch die Trabanten, die des Fürsten Wagen Begleiteten, sind hin. Von soviel Leben Blieb nur das Steinpferd auf des Fürsten Grab. Ich setze mich ins Gras, von dumpfer Trauer Umfangen, leise heb ich an zu singen Ein Lied, daraus mein ganzer Schmerz ertönt. In diesem rätselhaften Dasein wandert Ein jeder seinen Weg; doch alle Wege Sind kurz und flüchtig und geheimnisvoll.–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 66f. -
Yu jie yuan 玉階怨: Die Treppe im Mondlicht (Li Bai 李白)
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Gefügt aus Jade steigt die Treppe auf, Mit Tau benetzt, darin der Vollmond schimmert, – Auf allen Stufen liegt der holde Glanz. Die Kaiserin in schleppendem Gewande Schreitet die Stufen aufwärts, und der Tau Näßt funkelnd des Gewandes edeln Saum. Sie schreitet bis zum Pavillon, in dem Das Mondlicht webt. Geblendet bleibt sie auf Der Schwelle stehen. Ihre Hand zieht sacht Den Perlenvorhang nieder – und es sinken Die lieblichen Kristalle, rieselnd wie ein Wasserfall, durch den die Sonne scheint... Da lauscht die Kaiserin dem Rieseln nach Und blickt voll Schwermut lange in den Mond, Den herbstlichen, der durch die Perlen flimmert. Und blickt voll Schwermut lange in den Mond...–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1907. p. 31. -
Yue xia du zhuo si shou (1) "Hua jian yi hu jiu" 月下獨酌四首(其一)“花間一壺酒”: Die drei Kameraden (Li Bai 李白)
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In blühnder Laube sitz ich stumm beim Wein Und sehne mich nach einem Kameraden – Ist keiner da, der mit mir zechen will? Da naht der Mond und grüßt mich wie ein Freund, Und noch ein Dritter taucht empor: mein Schatten! Mein Schatten und der Mond! Bei Gott, zwei stille Kumpane – und sie trinken keinen Tropfen! Mein Schatten rührt sich grade so wie ich, Blaß ist der Mond, – Genossen, seid willkommen! Auf, laßt uns saufen, bis der Frühling naht! Ich singe! – und der Mond hört lachend zu. Ich tanze! – und mein Schatten tanzt mit mir. Hallo, Genossen! Welch ein Zechgelage! O bleibt mir treu, – zum mindesten so lange Wie klarer Sinn in meinen Worten fließt. Wühlt freilich erst der Rausch durch meine Schläfen, – Ade dann, Freundschaft! Freunde, dann ade! Wir trennen uns im Dämmerlicht der Frühe, Doch nicht lang... Ja, morgen abend feiern Wir Wiedersehen, – wollen wir, Genossen?–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1907. p. 38. -
Zeng wei ba chu shi 贈衛八處士: An einen Jugendfreund (Du Fu 杜甫)
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Die Menschen leben einsam, – gleich Gestirnen, Die durch den ewigen Raum des Weltalls schweifen Und nie sich treffen auf der weiten Bahn. Drum laß uns diesen schönen Abend preisen, Geliebter Freund, da uns die gleiche Lampe In deinem lieben Hause nah vereint! Wie rasch ist unsre Jugend hingeschunden! Das graue, dünne Haar an unsern Schläfen Zeigt schon das Nahen später Tage an. Die meisten der Gefährten unsrer Jugend Sind schon im Jenseits. Ich bin tief erschüttert, Da ich dich wiederseh, – mein Herz klopft laut. Wer hätte je geglaubt, daß ich einmal Nach zwanzig Jahren allzu langer Trennung In deinem fernen Haus erscheinen würde! Als wir uns damals trennten, warest du Noch unvermählt, – jetzt springen hübsche Mädchen Und flinke Knaben blühend um dich her. Sie grüßen ihres Vaters alten Freund Mit Herzlichkeit und Anmut und erfragen, Aus welchem Land der späte Wandrer kommt. Und während Frag und Antwort hurtig wechseln, Bringen sie Wein herbei, und trotz des Abends Pflücken sie noch im Garten Frucht und Kraut. Reis wird gekocht und schöne gelbe Hirse, Und immer wieder lacht mein Freund, vor Freude, So unerwartet mich als Gast zu sehn. Wir trinken Glas um Glas, doch bleiben wir Herr unsrer Sinne; wir sind tief bewegt, Daß unsre Freundschaft so lebendig blieb. O wehe! morgen werden wieder Berge Mit wolkigen Gipfeln unsre Tage trennen, Und wieder wird die Zukunft vor uns liegen Gleich einem Meere grau und uferlos.–
in: Bethge, Hans. Pfirsichblüten aus China. Berlin: Ernst Rowohlt Verlag, 1923. p. 55f. -
Zhou fan dong ting 舟泛洞庭: Auf dem Flusse (Du Fu 杜甫)
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Mein Schiff treibt durch das Wasser leicht dahin – Ich seh sein Spiegelbild auf klarer Flut. Am Himmel gehen die Wolken, stumme Wandrer, Und auch den Himmel seh ich in der Flut. Wenn eine Wolke an dem blauen Monde Vorübergleitet, fein wie ein Gedanke, So seh ich, wie sie unter mir verschwebt, Ein Märchenbild... Mir ist, mein Schiff zieht selig durch den Himmel, Ich fühle mich den Wolken nah verwandt, – Und plötzlich weiß ich: Wie der Himmel sich In diesem Wasser spiegelt, also blüht Das Bild meiner Geliebten mir im Herzen.–
in: Bethge, Hans. Die chinesische Flöte. Nachdichtungen chinesischer Lyrik. Leipzig: Insel Verlag, 1907. p. 47. –
in: Jaspert, Reinhard (ed.). Lyrik der Welt. Ausland. Berlin: Safari-Verlag, 1948.